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The Gaslight Anthem - Handwritten

The Gaslight Anthem- Handwritten

Mercury / Universal
VÖ: 20.07.2012

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Die Faust in der Tasche

Wie viel Sinn ergibt es, eine Rezension über das neue Album von The Gaslight Anthem zu schreiben, ohne Brian Fallons "Outing" als Kreationist zu erwähnen? Sollte man den Sachverhalt wirklich noch einmal aufrollen und die Musik dann in einen Kontext mit den Äußerungen des Sängers setzen? Mal ehrlich: Zu diesem Thema wurde mittlerweile doch alles gesagt - nur noch nicht von jedem. In fiebriger Aufregung wandten sich viele von The Gaslight Anthem ab, verteufelten Fallon und wünschten ihn dorthin, wo der Pfeffer wächst. Diese Leute werden sehr wahrscheinlich auch einen großen Bogen um "Handwritten" machen, das vierte Album der Punkrocker aus New Jersey. Dabei geht es in ihrer Musik doch um ganz andere Dinge. The Gaslight Anthem sind keine politische oder religionsanthropologische Band, sondern schreiben Lieder über alte Autos, hübsche Mädels und die Zweisamkeit auf rostigen Riesenrädern. Kein Gott, keine Predigt. Was den Frieden lediglich stört, ist ein Musiker, der nicht an die Evolution glaubt. Das mag zwar zugegebenermaßen nicht sonderlich smart sein, ist aber doch eigentlich halb so wild, oder?

Nun erscheint mit "Handwritten" das Album nach dem Sturm. Recht schnell wird klar: The Gaslight Anthem zeigen kein sonderlich großes Interesse daran, ihre erfolgversprechende Formel wesentlich zu verändern. Vielleicht ist das auch eine Konsequenz, die sich aus dem vielen Trubel der vergangenen Monate ergibt: Die eigene Musik als eine Art Anker begreifen, denn irgendetwas muss einem ja Halt geben. Die Band zelebriert also elf weitere Male das Leben an sich: Mal verpacken sie ihre Botschaft in eine Lobeshymne, mal in eine Durchhalteparole - der Unterschied ist sowieso marginal. Der flotte Opener ""45"" kann und will sich nicht endgültig für eines von beidem entscheiden, beginnt mit melancholischen Sätzen über das Alleinesein, doch irgendwann muss man eben den Blick wieder heben, die Faust in der Hosentasche ballen und weitermachen: "There you go / Turn the keys and engine over / Let her go / Let somebody else lay at her feet." Die Musik dazu ist äußerst eingängig, The Gaslight Anthem klingen deutlich geradliniger, direkter. Vielleicht sogar poppiger.

Trotzdem kommt auch dieser Text über die Band nicht ohne Erwähnung des ultimativen Sound-Paten Bruce Springsteen aus, denn auch auf "Handwritten" stellen Fallon und co. diese positiv gemeinte Hemdsärmeligkeit in den Mittelpunkt ihrer Stücke. Für diese vier jungen Männer ist die selbstgefangene Forelle mehr wert als das fein zubereite Sashimi beim Japaner, Einfachheit und Zufriedenheit werden hier zum Prinzip. Genauso funktioniert auch die Musik: Die paar beiläufig von der Leine gelassenen Schalala-Chöre im Stampfer "Here comes my man" sind schon ein Luxusgut, eigentlich brauchen die Songs nie wirklich mehr als Gitarre, Bass, Schlagzeug, Fallons charakteristische Stimme und Refrains, die man betrunken in den frühherbstlichen Nachthimmel hauchen möchte. Klar, die Hymnenhaftigkeit von "The '59 sound" bleibt unerreicht, und auch der Nachfolger "American slang" hatte die etwas charismatischeren Songs, doch in seiner ganzen Wärme und Kumpeligkeit fühlt man sich auch auf "Handwritten" wohl. Vorausgesetzt, man steht auf Lebensweisheiten, die so auch aus schlauen Glückskeksen stammen könnten.

So ganz ohne neuen Wind geht es indes natürlich nicht, auch wenn sich die Verschiebungen und Neuerungen im Sound nur geringfügig bemerkbar machen. Aber ein rhythmisch vertracktes Stück wie "Too much blood" wäre 2008 kaum denkbar gewesen, ganz gleich, wie man den Song und diese Entwicklung an sich nun bewerten mag. Allzu lange hält die melancholische Stimmung sowieso nicht an, denn mit "Howl" schieben die vier direkt den nächsten dynamischen Powerpop-Song hinterher, der irgendwann in einem Meer aus "Hey"-Rufen ertrinkt. Auch das ist so eine Sache, die "Handwritten" etwas von den bisherigen Alben unterscheidet: The Gaslight Anthem spendieren ihren Stücken nun häufiger glückstrunkene Chöre, die sich zwischen all den vernarbten Erinnerungen breitmachen dürfen. Ob die Songs solche Sperenzchen überhaupt nötig haben, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt. Das sentimental im Regen stehende "Mae" überzeugt dafür aber mit einer echten U2-Gitarrenfigur - da lassen sich Fallon und seine Jungs nicht lumpen. Immer nur mit dem Boss verglichen zu werden, ist auf die Dauer ja auch ermüdend. Um sich aus dieser Klammer und dem ganzen Kreationisten-Gewäsch zu befreien, legen The Gaslight Anthem mit "Handwritten" die unspektakulärste Platte vor, die möglich war. Das darf man als Statement einfach mal so stehen lassen.

(Kevin Holtmann)

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Highlights

  • "45"
  • Biloxi Parish
  • Mae

Tracklist

  1. "45"
  2. Handwritten
  3. Here comes my man
  4. Mulholland Drive
  5. Keepsake
  6. Too much blood
  7. Howl
  8. Biloxi Parish
  9. Desire
  10. Mae
  11. National anthem

Gesamtspielzeit: 40:50 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Logarythms
2013-05-21 01:06:25 Uhr
Bessere Tracklist:

1. "45"
2. Handwritten
3. Hold You Up (von der RSD EP)
4. Mulholland Drive
5. Keepsake
6. Halloween (von der Fanclub 7'')
7. Biloxi Parish
8. Teenage Rebellion (Handwritten Bonustrack)
9. Howl
10. Desire
11. Mae
12. Blue Dahlia (Handwritten Bonustrack)
Sarah
2013-04-19 14:05:25 Uhr
Bei finestvinyl kann man gerade die Collectors Box bestellen. Mir wurde gestern gesagt, daß schon die hälfte der 360 deutschen Exemplare verkauft sind. Vielleicht ist das ja hier für den einen oder anderen von Euch auch interessant.

http://www.finestvinyl.de/gaslight-anthem-the-singles-collection-2008-2011-58172,20
Andreas
2012-12-20 13:21:23 Uhr
Komisch, so manches Posting hier...

Sicher, weniger Shalala und Ähnliches wäre vielleicht mehr gewesen, aber dennoch -und völlig unangefochten- mein klares Album des Jahres. Besonders Handwritten, Keepsake, Mulholland drive und Biloxi Parish sind großartig. Aber eigentlich fällt kein Stück so richtig ab.
Storytellerwäscher
2012-09-12 09:55:45 Uhr
Ja, so nach mehrfachem Hören gefällt es mir auch wesentlich besser als zuerst. Keepsake Biloxi Parish sind die beiden Glanzmomente.

Besser als American Slang ist das Album zweifellos, aber an '59 Sound kommt das nu wirklich nicht ran.
Hollowman
2012-09-12 08:48:22 Uhr
War anfänglich ein bisschen enttäuscht, aber inzwischen muss ich sagen, starkes Album, das sogar fast an 59 Sound rankommt. Absolutes Highlight für mich Biloxi Parish.
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