Will Stratton - Post-empire
Talitres / Rough Trade
VÖ: 25.05.2012
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Auf die Finger
Noch bevor Plattentests.de das vierte Album von Will Stratton überreicht wurde, hatte sich der 24-jährige Amerikaner in seinem Blog schon längst über uns, die Spezies der Kritiker ausgelassen. Über unsere Ahnungslosigkeit, unsere Überheblichkeit und darüber, dass niemand verstehen will, dass er einfach nur "American music" macht. Stratton: "Ich werd's nie verstehen, warum Kritiker genau zu wissen glauben, was Musiker gehört haben und warum sie ihre Vermutungen immer in so einer herablassenden Art und Weise präsentieren - der Grad ihrer Überzeugung kann wohl nur noch vom Grad ihrer Unrichtigkeit erreicht werden. Heutzutage sind die meisten Kritiker - im Vergleich zu den Menschen, die die Musik tatsächlich machen - doch jämmerlich uninformiert in Sachen Popmusik-Geschichte. [...] Ok, jetzt ist es an der Zeit, damit aufzuhören, über mediokre Kritik zu lamentieren. Die Menschen haben ja ein Recht auf ihre Meinung; ich würde mir nur wünschen, dass sie selbige auszudrücken vermögen, ohne ihre Worte in meinen Mund (und in meine Hände, und in meine Gitarre, und in mein Gehirn) zu legen."
Trotz dieser deutlichen Unabhängigkeitserklärung kommt man während des Hörens von "Post-empire" nicht umhin, zumindest einen Vergleich zu ziehen, den Stratton vermutlich wieder leidenschaftlich abstreiten würde, alleine schon aus Prinzip, der aber nicht von der Hand, nicht von Strattons kunstvollem Fingerpicking, nicht von seinem unaufdringlichen, dennoch eindringlichen Gesang und auch nicht von der spätherbstlichen Grundstimmung seiner Lieder zu weisen ist: Nick Drake. Mit ihm verbinden Stratton zudem wunderbare Streicher-Arrangements - mal sind die Kontrapunkt, mal Komplize der stets präsenten Klampfe. Sie eröffnen das Album, schwärmen würdevoll aus, und erst nach gut zwei Minuten wagt sich Stratton in die liebevoll für ihn vorbereitete Szene von "You divers". Ein 7-minütiges Epos über Naturgewalten, im engeren und im weiteren Sinne.
Es gibt auf "Post-empire" keinen Bass, kein Schlagzeug, keine Percussion, dafür aber zwei bezaubernde Background-Grazien, die sich hin und wieder die Ehre geben. Es bleiben also Gesang und verschiedene Gitarren - in nur anderthalb Tagen aufgenommen, nicht mehr als ein oder zwei Takes pro Song - und natürlich die herrlichen, von Stratton höchstpersönlich arrangierten Streicher. Sein Talent für Melodien ist bemerkenswert, ebenso sein Wandeln zwischen Dur und Moll und vor allem seine technische Brillanz; in "If you wait long enough" überholen sich Strattons Flitzefinger beinahe selbst. "Colt new marine" hingegen könnte Filmmusik sein, der Titeltrack klingt tatsächlich wie ein verschollener Nick-Drake-Song, und "The relatively fair" wirft sich ohne rot zu werden einem sanften Blues in die Arme. Mit anderen Worten: ein überaus gelungenes Album. Und sogar noch interessanter als die Frage, ob diese Sympathiebekundung hier reicht, um in Strattons Blog Erwähnung zu finden.
Highlights
- You divers
- When you let your hair down to your shoulders
- If you wait long enough
- The relatively fair
Tracklist
- You divers
- When you let your hair down to your shoulder
- Tell me, where do I begin?
- Colt new marine
- Honey diamond
- Post-empire
- At the table of the Styx
- If you wait long enough
- The relatively fair
- Mercury ID blues
Gesamtspielzeit: 43:25 min.
Referenzen
Jackson C.Frank; Pete Greenwood; Nick Drake; The Tallest Man On Earth; José González; Bert Jansch; Davy Graham; John Fahey; J. Tillman; John Martyn; Micah P. Hinson; Sufjan Stevens; Simon & Garfunkel; Paul Simon; M. Ward; Bonnie 'Prince' Billy; Tim Buckley; Tom McRae; Johnny Flynn; Bill Callahan; Willy Mason; Adam Arcuragi; Andrew Vladeck; Loney, Dear
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