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Bill Callahan - Apocalypse

Bill Callahan- Apocalypse

Drag City / Rough Trade
VÖ: 08.04.2011

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Aus der Ferne

Wenn ein Mensch, in der Öffentlichkeit mit Argusaugen betrachtet, auf einer Leiter ein paar Schritte nach oben schreitet, dann sollte er damit rechnen, nicht mehr zurück zu können, sondern stets einen Schritt weiter zu gehen. Alles andere fordert Hohn und Spott heraus, und Stagnation führt zu anhaltender Nichtachtung. Bill Callahan weiß das nur zu genau. Er hat aktuell zwar keinen qualitativen Quantensprung gemacht, denn Meisterhaftes findet sich schon seit den mittleren neunziger Jahren in seiner Diskografie. Aber die zunehmende musikalische und vor allem textliche Extrovertierheit und Direktheit, die er mit seinem letzten Album "Sometimes I wish we were an eagle" an den Tag legte, zeigt vor allem: Aus dem unnahbaren, unberechenbaren Stoiker, dessen Anspruch an Authentizität stets im Fokus seines Schaffens stand, ist ein vergleichsweise altersmilder Songwriter geworden, der sich nicht scheut, seine Intellektualität nach außen zu tragen und seine inzwischen vergilbten Dogmen mit einem stillen Lächeln zu hinterfragen.

Und was wurde nicht Großes über das Große und Ganze gesagt auf "Sometimes I wish we were an eagle": Der verflossenen Liebe bekundete Callahan mit Inbrunst, er werde niemals loslassen. Dem Schutzmantel des Göttlichen erkannte er konsequent die Existenz ab. Was bitte soll nun darauf noch folgen? Ist er nicht schon am oberen Ende der Leiter angelangt? Ja, wenn nichts mehr geht, dann geht tatsächlich nichts mehr - und die Welt beginnt sich aufzulösen. "Apocalypse"! Doch Callahans vierzehntes Album entpuppt sich mit seinem dräuenden Titel als inkonsequenter Blender. Denn von Auflösungserscheinungen ist weit und breit nichts zu hören. Nein, er behandelt im eröffnenden "Drover" vielmehr Themen, die er sich schon des Öfteren auf den Leib geschneidert hat: fehlende Identifikation mit der lebensnahen Umwelt und die daraus entstehende Flucht. Ein abstraktes, lebenslanges Roadmovie in Tönen.

"Apocalypse" gibt sich auf den ersten Blick als alter, ganz konkret zu benennender Bekannter: Der lyrische Vortrag ist weniger direkte Poesie, sondern mehr verschachtelte, gedankenverlorene Assoziation eines gepeinigten Geistes. Die musikalische Darbietung setzt auf einen kühlen, schnellen, fast emotionsleeren Stakkatorhythmus, der sich neben nordamerikanischem Folk und Country auch an dem nahe gelegenen, mittelamerikanischen Süden orientiert. Wer bei diesen Fixpunkten nicht an das 2001er Smog-Album "Rain on lens" denkt, für den sind Callahan und sein ehemaliges Alter Ego immer noch zwei Paar Schuhe. Auch das bratzige wie obskure "America!" mit seiner politisch-heimatkritischen Wortkette und kurzen, raumlosen Noiseattacken aus der elektrischen Gitarre unterstützt diesen Anflug von Nostalgie.

Bei all der beseelten Rückschau darf man aber nicht aus den Augen verlieren, dass "Apocalypse" seine eigenen Facetten mit ins Spiel bringt, um nicht als schlichte Kopie dazustehen - damit aber noch deutlicher macht, dass den subtilen, grundmelodischen Epen von "Sometimes I wish we were an eagle" nun schneidigere, bissigere Rhyhthmusexperimente folgen sollen. Zum Beispiel dürfte ein Stück wie "Free's" für Callahans Schaffen ziemlich einzigartig sein. Die Gitarre schlägt einen lauen Jingle-Jangle-Rhythmus an. Das Piano folgt einer eigenen, unstrukturierten Linie und gibt hier wie da helle Tupfer zum Besten. Die frei florierende Querflöte evoziert Jazz, dem sich alle Protagonisten nach und nach unterordnen. Auch das großartige "Universal applicant" folgt dieser Formel, wenn auch stringenter und hypnotischer.

Seinen Anspruch, mit "Apocalpyse" einen erkennbaren Schritt nach oben zu gehen, dürfte Callahan mit seiner erneut intelligent arrangierten Wandlungsfähigkeit bewiesen haben. Doch wie schon bei "Rain on lens" fällt es manches Mal schwer, die edlen Kompositionen von "Apocalypse" durch ihre teils feste Bindung an Rhythmus und Rauheit endgültig lieb zu haben, sie zum festen Leibeigenen zu machen, sie im Sinne von Klang oder Text zu Lebensweisheiten umzufunktionieren. Eine emotional tiefgreifendere Note hier oder ein Innehalten dort hätte Callahan erneut zu einem ehrwürdigen Meister gemacht. Der er diesmal aber nicht sein will - und statt dessen der persönlichen Stagnation immer einen Schritt voraus. So bleibt "Apocalypse" letztlich ein interessantes und außerdem sehr gutes Spiel zwischen Ab-, Rück- und Umkehr, das man mit Freuden aus einiger Distanz betrachtet.

(Markus Wollmann)

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Highlights

  • Drover
  • Universal applicant
  • Free's
  • One fine morning

Tracklist

  1. Drover
  2. Baby's breath
  3. America!
  4. Universal applicant
  5. Riding for the feeling
  6. Free's
  7. One fine morning

Gesamtspielzeit: 40:42 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Stusi
2011-11-10 00:06:46 Uhr
@me
Hast du die Setlist aus Heidelberg noch ungefähr im Kopf?
Bernd
2011-11-09 22:00:13 Uhr
seine mimik auf konzerten ist auch kaum auszuhalten.
Boneless
2011-11-09 21:50:21 Uhr
...sagt ein user mit dem namen klöten-anton. faszinierend.
me
2011-11-09 11:11:32 Uhr
Naja, in meiner Umgebung gab es so zwei Hühner, die meinten, sie müssten wärend des letzten Drittels ständig rumquatschen. War mir aber zu blöd, da rüberzulaufen. Hab mich einfach auf die tolle Musik konzentriert. Cool fand ich, dass da einer seinen geschätzt dreijährigen Sohn dabei hatte, auch wenn ich mein Kind allein wegen der Lautstärke (und der späten Zeit) nicht mitnehmen würde. Aber ich konnte verstehen, dass er seinem Sohn etwas Großartiges nicht vorenthalten wollte.
bee
2011-11-09 10:56:14 Uhr
interessant fand ich die Spannung im Saal - auch bei ruhigen Passagen kein/kaum Gelaber wie es sonst auf Konzerten Mode geworden ist
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