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Home Video - The automatic process

Home Video- The automatic process

Defend / 101 / Groove Attack
VÖ: 04.03.2011

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Down is the new up

Radioheads "Kid A" wird im verklärenden Rückblick für die Nuller das werden, was Nirvanas "Nevermind" für die Neunziger ist. Dabei hatten die Briten doch einfach nur ein paar ihrer Neurosen in elektrischen Klangwellen verwandelt. Dafür, dass sich ein Jahrzehnt lang auf dem geduldigen Papier von Promotionanschreiben immer wieder ein paar fehlgeleitete Bands als von ihnen inspiriert behaupteten, konnten die Oxforder wenig. Selbst als "Amnesiac", "Hail to the thief" und "In rainbows" die depressiven Beats von "Kid A" weiter ausführten, war es oft bloße Behauptung, eine Band habe Radiohead verstanden. Erst "The king of limbs" würgte derlei Anmaßungen mit undurchdringlichem Geklapper ab.

Aber dann sind da doch noch Home Video. Die drei Brooklyner versuchten schon bei ihren ersten Veröffentlichungen auf dem legendären Warp-Label nicht, sich mit Fußnoten und Bezugnahmen zu profilieren. Ihre Songs basieren auf kristallklaren Strukturen und präzise verschalteten Stromkreisen, und doch verbreiten sie das warme Licht von 1000-Watt-Leuchten. Die Klänge ernähren sich von repetitiven Grooves und verunsicherten Harmoniefolgen. Home Video lassen matte Oberflächen glitzern und rauen Stromlinienformen mit minimalistischen Gitarren auf. Ihre Melodien streicheln das Gemüt wie eine Familienpackung Prozac, doch die Rhythmen zwingen zum Wippen, Zucken, Aufspringen. Dennoch wischt das näselnde Falsett von Collin Ruffino jeden Gedanken an Eigenständigkeit erst einmal weg. Denn schließlich kann Ruffino seiner Stimme nach niemand anderes sein, als der bislang unbekannte Zwilling von Thom Yorke.

Natürlich: Hier hat eine Band den Paradigmenwechsel von "OK computer" zu "Kid A" sorgfältig herausgearbeitet. Das einfache Nachstellen resignativer Tanzbarkeit war Home Video jedoch schon auf ihrem '06er Debüt "No certain night or morning" zu einfach. Sie dulden Trübsal nur dann, wenn es tanzend abgeschüttelt werden kann. In "Business transaction" perlt das Klavier daher wie Regentropfen an der Fensterscheibe herunter, und trotz niedergeschlagener Stimmung halten sie sich immer den Weg zum Beat offen. "An accident" schleppt sich auf winkende Synths zu, weil es trotz seiner matten Stimmung eben doch das Hymnen-Gen in sich trägt. "No relief". Und die sanft federnden Clavinet-Wolken von "Every love that ever was" kümmern sich um den Liebeskummer, als gäbe es auf "The automatic process" sonst keinen Grund zum Feiern. Dabei ist das ganze Album ein Fest.

Home Videos rätselhafte Eleganz ist nirgendwo so vortrefflich auf den Punkt gebracht wie bei "The smoke": Schüchterne Singlenotes der Gitarre werden von digitalem Glitzern umschmeichelt, doch die Melodie will hoch zum Regenbogen. Ein warmer Bass spricht Mut zu, und alles wird eine minimalistische Wall Of Sound. "The smoke / Billowing / From my eyes to yours." Diese Zeilen hallen noch immer nach, selbst als die Musik schon lange mit den Sternen wieder in die Nacht verschwunden ist, aus der sie kam.

In der Dunkelheit lauert auch der subtile Trance-Groove von "I can make you feel it". Dessen Clip wurde bei YouTube bereits Ende 2008 rauf- und runtergeklickt, bis es den Hirnwindungen seiner Zielgruppe ein schickes Branding verpasst hatte. Das Wiederhören freut jetzt umso mehr, da auch die beiden anderen der Songs der damaligen "It will be OK"-EP hier deutlich satter klingen. Es hatte sich schon angedeutet, dass Radioheads abstrahierter Pop einen neuen Spielkameraden bekommt. Der entpuppt sich mit "You will know what to do" als geschmeidiger Existentialist: "It breaks all your bones / But it's time to take a stand." Willkommen in der Idioteque.

(Oliver Ding)

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Highlights

  • The smoke
  • Business transaction
  • I can make you feel it
  • Every love that ever was
  • You will know what to do

Tracklist

  1. Accomplished but dead
  2. The smoke
  3. Business transaction
  4. An accident
  5. I can make you feel it
  6. Beatrice
  7. The automatic process
  8. Every love that ever was
  9. Description of a struggle
  10. No relief
  11. You will know what to do

Gesamtspielzeit: 50:08 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Matthias
2011-09-10 20:31:50 Uhr
@ Oliver Ding: eine absolut angemessene Bewertung für die bisher beste Platte des Jahres, die seit Mitte März quasi auf Dauerrotation bei mir läuft. Danke auch für das Rezensieren überhaupt, denn von allen anderen einschlägigen Seiten wurde dieses großartige Album einfach mal ignoriert.
Und ja, den Song des Jahres haben sie mit "The Smoke" auch im Gepäck...unbeschreiblich schöne, eine faszinierende Synthese von Dynamik und Meditation.
Oliver Ding
2011-04-26 15:03:49 Uhr
Mal bei http://www.homevideo.fm/shop.php oder http://www.insound.com/The-Automatic-Process-MP3-Home-Video/P/INS89699/ probieren. Die sind zwar nicht hierzulande gehostet, aber Du bekommst die Files dennoch nach Deutschland. :-)
mein name
2011-03-26 16:23:26 Uhr
kann man das album irgendwo legal in deutschland runterladen? NICHT itunes?
mein name
2011-03-26 16:23:25 Uhr
kann man das album irgendwo legal in deutschland runterladen? NICHT itunes?
Magnetschnapper Möbelmagnet
2011-03-26 16:22:14 Uhr
Ich meine: ein fantastisches, konventionelles Album darf nicht abgewertet werden, weil es konventionell ist. Im Gegenzug darf etwas absolut bahnbrechendes aber gern mal ein wenig aufgewertet werden.

Bist du sicher, dass sich da deine Art von Logik nicht gerade selbst verwurschtelt? Ein konventionelles Album soll so bewertet werden wie es ist, ein innovatives Album darf jedoch ruhig besser bewertet werden als es ist? Irgendwo ist da was faul.

Vielleicht ist es doch am einfachsten, man bewertet Alben schlicht und einfach nach ihrer Qualität (bei der Innovation mit Sicherheit eine Rolle spielt, aber nicht die einzige).
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