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Ariel Pink's Haunted Graffiti - Before today

Ariel Pink's Haunted Graffiti- Before today

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 04.06.2010

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Happy End

Wenn wir alle alt genug sind, die grauen Haare im Überfluss sprießen und die dritten Zähne auch schon auszufallen beginnen, dann wird die nun folgende Geschichte aus dem Musikzirkus keine wirklichen Emotionen mehr hervorlocken können. Zu oft wurde sie erzählt, zu oft wurden daraus seltsame Wertungen und Analysen gestrickt. Sie geht etwa so: Es war einmal ein junger, besonders kreativer Mann, in diesem Fall aus Los Angeles, der frönte seit dem Jahre 1996 Tag für Tag im Homerecording-Verfahren seinem psychedelischen, experimentellen B-Movie-Disco-Pop mit Gitarreneinschlag. Doch dem anfangs rein lokalen Geheimtipp Ariel Pink widerfuhr zu Beginn dieses Jahrhunderts ein Ritterschlag, durfte er doch seine gesammelten Kassetten und CD-Rs noch einmal neu veröffentlichen - und nicht bloß irgendwo, sondern bei Paw Tracks, der Schmiede von Animal Collective.

Und so wurde aus Pink der erste Künstler, der die bis dahin rein bandinterne Veröffentlichungspolitik sprengen durfte. "Before today" führt die Geschichte nun zu einem entscheidenden Bruch, denn Ariel Pink baut hier erstmals auf professionelle Bedingungen und hängt das Vierspuraufnahmegerät offiziell an den Nagel. Wie wird es also weitergehen? Mit dem Verlust von Authentizität? Ausverkauf gar? Einem Dasein als Lohnsklave von Los Angeles? Berechtigte Befürchtungen, die sich aber gottlob nicht bewahrheiten. Denn die Produktion ist nicht nur nicht störend, sie legt auch einen dämpfenden, entrückten Schleier über dieses Album. Etwa zu Beginn von "Menopause man". Hypnotisch pluckernder Bass, weitflächig verwischte Casio-Keyboard-Sounds, klirrende, sanft angeschlagene Gitarre und Pinks stoische Stimme, die sich schnell in höchste Höhen aufschwingen kann - all das wird im Verbund durch die großartige Produktion in Richtung Vergangenheit befördert.

"Before today" hängt also nicht nur in seinen Reminiszenzen knietief in den schmierigen, abgefuckten Discos der Siebziger und in einer bröckelnden, abgewrackten Glitzer-Pop-Welt mit übergrellen Scheinwerfern. Sondern auch mit seinem Sound. Und das ohne grinsenden Parodiefaktor, sondern mit einem anhaltenden experimentell-psychdelischen Kick. "Round and round" klingt nicht nur nach einem frühen Michael Jackson, sondern auch nach britischem New Wave aus den Achtzigern, Marc Bolan und repetitivem Krautrock der Marke Faust auf einmal. Eine krude Mischung, doch Pink und seine vierköpfige Band hauchen ihr übergangslos Leben ein. Mitsingrefrains treffen auf stille, strukturlose Momente, Beat prallt auf Kitsch, Kontemplation auf Tanzgefühl. Pinks stimmliche Bandbreite zieht alle Register: "Bright lit blue skies" erinnert an einen feinfühligen und trotzdem wunderbar nölenden Joey Ramone, "L'estat (Acc. to the widow's maid)" verweist im Anschluss eher an Rod Argent von den Zombies - unterstützt von einer bescheuert euphorisierenden Kinderstimme im Refrain und einem flinken bis weichgespülten Space-Outro, das sich trotz Bruchgefahr passend einfügt.

Sicher gibt es viele Gruppen da draußen, die sich mit einer großen Bandbreite brüsten und sich aufgrund dessen als musikgewordene Freakshow vermarkten. Ariel Pink's Haunted Graffiti aber zeichnen sich trotz hörbarer Extrovertiertheit durch konsequente Subtilität aus. So funktioniert auch in "Butthouse blondies" das Zusammenspiel aus ernsthaftem Neil-Young-Gitarrengewitter, minimalistisch-lieblichem Songwriting und mit fremdartigen T.Rex-Stimmeffekten. Die Story vom Lo-Fi-Jungspund, der sich plötzlich in einer tendenziellen Hi-Fi-Welt wiederfindet, ist tatsächlich mehr als durchgekaut, doch auf das Ergebnis kommt es an. Und "Before today" bedeutet eben nicht weniger als ein jeden umliegenden Menschen ergreifendes Happy End. Gleichzeitig kitschig, unprätentiös, überladen und mit vielen kleinen erhabenen Momenten. Jede Ecke und Kante wird zelebriert, jeder anschmiegsamen Melodie eine entsprechende Fläche geboten. Ariel Pink ist angekommen. Ohne Einbußen in Kreativität und Spielfreude.

(Markus Wollmann)

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Highlights

  • L'estat (Acc. to the widow's maid)
  • Round and round
  • Butthouse blondies
  • Little wig

Tracklist

  1. Hot body rub
  2. Bright lit blue skies
  3. L'estat (Acc. to the widow's maid)
  4. Fright night (Nevermore)
  5. Round and round
  6. Beverly kills
  7. Butthouse blondies
  8. Little wig
  9. Can't hear my eyes
  10. Reminiscenes
  11. Menopause man
  12. Revolution's a lie

Gesamtspielzeit: 45:01 min.

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