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Sophie Hunger - 1983

Sophie Hunger- 1983

Two Gentlemen / Indigo
VÖ: 16.04.2010

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Volle Distanz

Sophie Hunger wirkt immer mindestens ein bisschen fernab von dem Leben, das die meisten Menschen als normal bezeichnen. Was zum Teil die Schuld der Feuilletonisten ist, die auf die Andersartigkeit der Liedermacherin und ihres Durchbruchszweitlings "Monday's ghost" keine andere Antwort wussten, als mystifizierende Elogen voller Vokabeln wie "Magie" zu produzieren. Dabei ist sie sicher nicht das extraterrestrische Wunderwesen, zu dem sie auch wegen ihres distanzierten und sperrigen Umgangs mit Medien und Musikindustrie stilisiert wurde. Hunger hält lediglich vorsichtige Distanz zu einem Kulturmainstream, der ihrer Natur nicht entspricht und der keine Antennen für die intuitive und daher zutiefst menschliche Frequenz ihrer Kunst hat.

Das Widerspenstige in Hungers Wesen findet jedoch erst mit "1983" zu voller Stärke: Auf dem Cover richtet sie die Pistole gleichermaßen gegen den Betrachter wie gegen sich selbst - ein pervertierter Mexican Standoff, der auf die Entmenschlichungen des Kapitalismus und das Heilsversprechen des Individualismus zielt, und den Rückstoß des gleichermaßen künstlerischen wie aggressiven Aktes einkalkuliert. Hunger grenzt sich ab, bleibt im Randbereich aber Teil des beschriebenen Ganzen, erleidet und gestaltet gleichzeitig, wenn sie in "Invisible" das Geschäft mit dem Leben herunterzählt: "Obama / showbiz / Jesus / showbiz" heißt es da, aber eben auch: "Sophie Hunger / showbiz". Ähnlich energisch weist sie in "Your personal religion" mit der Losung "It doesn't speak for me" eine Vereinnahmung durch die Agenden der Gegenwart zurück.

All das klingt zumindest vorsichtig entrückt, wie im düster-souligen Gospel "Leave me with the monkeys" oder der Gitarrenserenade "Travelogue". Meist aber haftet den Stücken im Rahmen der musikalischen Grenzen von Folk, Jazz, Soul und Pop etwas Aggressives, Unruhiges, Impulsives an. Dennoch bleibt der Hörer staunender Zaungast, den Hunger stets auf Abstand hält - mit unkonventionell stressigen Instrumentaleinsätzen und dem Rückzug ihrer hallumwehten Stimme in die Tiefe des Raumes ebenso wie mit Vielsprachigkeit. Denn wo das Französisch von "Le vent nous portera" romantisiert und das Schweizerdeutsch von "D'red" verharmlost, geht erst mit dem hochdeutsch gesungenen Titelstück ähnlich wie vor einem Jahr in "Walzer für niemand" Hungers ganze poetische Sprachgewalt auf den Hörer nieder.

Ihren Geburtsjahrgang nimmt die Sängerin als Bezugspunkt für einen Abgesang auf die Gegenwartskultur: "1983 / Wo sind deine Stimmen / Wo sind deine Ausnahmen, deine Mongoloiden" fragt sie, während die Toms vibrierend nach vorn ziehen und eine Jazz-Trompete leise den Untergang begleitet und bittet: "Bitte sing mir ein Volkslied / Auch wenn es das nicht mehr gibt". In diesem Moment blitzt das Genie auf, das Hunger sein könnte oder schon ist, welches sie aber nocht nicht immer in ihre Stücke kanalisieren kann, die manchmal bei all ihrer Eigenheit an Genre-Standards erinnern. Für den Hörer bleibt eine Platte, die so präzise wie phantasievoll die Gegenwart umreißt und doch immer ein wenig mit dem Leben fremdelt, das sie beschreibt. Voller Distanz über die volle Distanz.

(Dennis Drögemüller)

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Highlights

  • 1983
  • Headlights
  • Invisible
  • Train people

Tracklist

  1. Leave me with the monkeys
  2. Lovesong to everyone
  3. 1983
  4. Headlights
  5. Citylights forever
  6. Your personal religion
  7. Le vent nous portera
  8. Travelogue
  9. Breaking the waves
  10. D'red
  11. Approximately gone
  12. Invisible
  13. Broken English
  14. Train people

Gesamtspielzeit: 42:32 min.

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