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Kinderzimmer Productions - Over and out

Kinderzimmer Productions- Over and out

Kinderzimmer / Rough Trade
VÖ: 04.12.2009

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Stylisches Ende

Politiker? Alles Lügner, durch die Bank. Fußballfans? Ungebildete, biersaufende Proleten, die sich jedes Wochenende zum Schlägern im Stadion treffen. HipHop? Gewaltverherrlichende, frauenverachtende Dumpfbackenmusik simpelster Natur. Halt, Moment! Klischees sind generell furchtbar, aber letzterem muss besonders entschieden entgegengetreten werden. Denn es trifft nur dann zu, wenn man HipHop mit dem Schwachsinn gleichsetzt, der auf MTViva Tag für Tag den Äther verseucht. Aber außerhalb dieses Blickfelds gibt oder vielmehr gab es sehr wohl Künstler und Bands, die Sprechgesang anspruchsvoll zu gestalten vermochten. Eine dieser Bands sagte im April 2008 adieu: Kinderzimmer Productions, die Qualitätsinstanz aus Ulm.

15 Jahre lang verbanden Textor und Quasi Modo jazzige, vertrackte Beats mit ausgefeilten, niveauvollen und witzigen Wortkonstrukten und unterschieden sich zudem auch durch ihre wohltuend unaufgesetzte Art radikal vom Rest der Szene. Ende 2007 war das Duo, nach dem vergleichsweise schwächeren Album "Asphalt" dann des Kampfes müde: "Kinderzimmer Productions beerdigen ihren Namen, aber nicht die Idee, die dahintersteckt." Die Szene sei einfach zu erstarrt, öffne sich andersdenkenden Rappern nicht, und wirtschaftlich rentabel sei HipHop auch nicht, wenn er auf Klischees verzichtet. Allesamt logische Gründe, die die Sache aber auch nicht weniger schmerzvoll machte. Doch einfach so abzutreten, wäre nicht die Art der kleinen Racker gewesen: Im April 2008 gab es ein allerletztes Konzert in Dortmund, dessen Mitschnitt nun eindrucksvoll verdeutlicht, was die deutsche Rapszene durch diesen Abgang verliert.

Denn für den Abschiedsgig ziehen Textor und Quasi Modo noch einmal alle Register. Neben Jürgen "Das Tier" Schlachter, dem seit jeher mitwirkenden Livedrummer, stehen noch vier weitere Musiker auf der Bühne und gestalten den Kinderzimmer-Sound so unplugged wie möglich. Die Vocal-Samples werden zum Großteil gesungen oder gesprochen, die Beats durch den Einsatz von Gitarre, Klavier, Cembalo, Melodica oder Vibraphon authentisch nachgespielt. Dass Textor neben einwandfreien Raps zudem noch den Kontrabass beherrscht, sorgt fast für Jazzclubatmosphäre. Oder um es in den Worten des MCs auszudrücken: "Wir sind so circa bei 92 Prozent fußgängerzonenkompatibel." Aber eben auch die einzige Rapband, die gleichermaßen HipHop-, Rock- und Jazzfreaks anzog. Und zum Abschluss all diese noch einmal über eine Stunde lang rasant durch ihren Katalog führt.

Nicht fehlen darf natürlich der Klassiker "Back", dessen Zeile "Für diesen Loop hier reißen uns die Stranglers noch die Eier ab" den folgenden Sampling-Skandal bereits vorwegnahm. Weitere Gassenhauer aus der Frühphase folgen: das wummernde "Lights! Camera! Action!", die Szene-Abrechnung "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint" oder das penetrant locker vor sich hingroovende "Doobie". Mit dem düster-aggressiven "Irgendwo zwischen" oder drei Tracks vom wohl besten Album "Wir sind da wo oben ist" sind auch spätere Meilensteine mit von der Partie. Und wenn die Band im grandiosen "Von links nach rechts" kurzzeitig falsch abbiegt und eine Pause zum Lachen einlegen muss, ist das nicht dilettantisch, sondern ein charmanter Tupfer Menschlichkeit in einer durch und durch perfekten Performance. Das tighte Kollektiv um den auf technisch höchstem Niveau rappenden Textor haucht fast allen Songs durch musikalische Virtuosität noch mehr Leben ein, als sie ohnehin bereits hatten. Kein einziger Ausfall, haufenweise Highlights - "Over and out" macht mehr denn je klar: Man wird Kinderzimmer Productions vermissen. Schade, dass es immer die Guten treffen muss.

(Mark Read)

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Highlights

  • Back
  • Doobie
  • Das Gegenteil von gut ist gut gemeint
  • Von links nach rechts
  • Irgendwo zwischen

Tracklist

  1. Das T
  2. Quasi Modo lost control
  3. Lights! Camera! Action!
  4. Back
  5. Mehr oder weniger
  6. Doobie
  7. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint
  8. Nie wieder gut
  9. Von links nach rechts
  10. Irgendwo zwischen
  11. Wir sind da wo oben ist
  12. Styles ohne Ende
  13. Kippen

Gesamtspielzeit: 64:01 min.

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