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Flying Lotus - Los Angeles

Flying Lotus- Los Angeles

Warp / Rough Trade
VÖ: 06.06.2008

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Taxi driver

Helmut Grokenberger. So heißt in Jim Jarmuschs Episodenfilm "Night on Earth" der Clown, der gerade aus der DDR in die USA eingewandert ist und nun in New York sein Glück als Taxifahrer versucht. Grokenberger spricht kein Wort Englisch, hat nicht den blassesten Schimmer, wie man ein Auto, geschweige denn ein Taxi fährt, und wo es mitten in der Nacht nach Brooklyn geht, weiß er schon mal gar nicht. Daher setzt sich sein Fahrgast Yoyo kurzerhand selbst ans Steuer und fährt die Kiste nach Hause. So ähnlich wie Grokenberger fühlt man sich auch beim Anhören von "Los Angeles", dem zweiten Album – nach "1983" auf Plug Research und der EP "Reset" auf Warp – von Steve Ellison alias Flying Lotus. Ein wenig tumb, aber stets neugierig hockt man in dieser vollkommen fremden Umgebung auf dem Beifahrersitz, während einen Ellison mit seinem abstrakten HipHop im Chillmodus kreuz und quer durch die City kutschiert. Und ein ums andere Mal kratzt man sich dabei an der Russenmütze angesichts all der Seltsamkeiten, die hinter jeder Ecke aus dem nächtlichen Dunkel auftauchen.

Denn kaum ist die Wagentür ins Schloss gefallen, stolpert auch schon "Breathe.something/Stellar star" volltrunken über den Bürgersteig, neben sich eine Meerjungfrau, die beschwichtigend auf den unverständliches Zeug lallenden Bass einsingt. Nach hundert Metern taucht Ellison mit "Beginners falafel" plötzlich in eine Unterwasserwunderwelt wie aus einem Stück der Detroit-Legende Drexciya ab. Kaum wieder trocken, geht die Reise aber erst so richtig los. Ein "Camel" mit einem metallisch vor sich hinklöppelnden Windspiel um den Hals hat den weiten Weg von Theo Parrishs verschrobenem Detroit-Deep-House bis nach L.A. gefunden und trottet langsam die Straße entlang. Es bleibt allerdings keine Zeit, sich darüber zu wundern, denn mit "Comet course" nimmt Ellison anschließend Tempo auf und biegt auf einen Highway ab, auf dem links und rechts die anderen Fahrzeuge ruhig vorbeigleiten.

Wieder zurück in den Straßenschluchten taucht nach ein paar Blocks vor einem hell erleuchteten Club die "Golden diva" auf. Doch kaum dass sich der Blick von der sich smooth und sexy im Blitzlichtgewitter wiegenden Lady wieder nach vorne richtet, zeigt das cinematische "Riot" die dunkle, hässliche Seite der Stadt. Zwei Ampeln weiter zappt dann "GNG BNG" von einem indischen Markt zu einer wilden Verfolgungsjagd, bei der ihm ein dicker Truck im Nacken sitzt. Glücklich entkommen, muss der "Parisian goldfish" erst mal auf die Tanzfläche, von wo er "RobertaFlack" mit nach Hause nimmt, um dort zu Tricky die heißeste Nacht seines Lebens zu verbringen. Schon in den frühen Morgenstunden des neuen Tages gibt sich dann Gonja Sufi auf "Testament", einem der wenigen Stücke mit Gesang, mit Standbass einer uferlosen Melancholie hin, ehe "Auntie's lock/Infinitum", eine Hommage an Ellisons Großtante Alice Coltrane, mit der zauberhaften Stimme Laura Darlingtons endlich in den Schlaf sinkt.

Begleitet wird dieser atmosphärisch dichte Trip durch die Stadt der Engel von blubbernden Unterwassersounds, Froschmännern mit Lasergewehren und einem steten Knistern, Krackeln und Rauschen, das quasi als roter Faden das Album zusammenhält. Denn dass auf "Los Angeles" in rascher Folge ein Szenario das nächste ablöst, liegt vor allem an der Kürze und Skizzenhaftigkeit der Stücke, die oft recht unvermittelt abbrechen, um einem neuen Laptop-Beat Platz zu machen. Umso schöner, dass der kaleidoskopartige Future-Funk dieser Platte dennoch nicht in seine Einzelteile zerfällt, sondern seine vielen verwinkelten kleinen Geschichten zu einer großen Erzählung runden kann. Die sollte man dann auch am Stück und mehrmals hören, denn es dauert eine Weile, bis man sich in der neuen Stadt zurechtfindet. Dann aber fühlt man sich in ihr wie zu Hause. So wie Helmut Grokenberger in New York.

(Harald Jakobs)

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Highlights

  • Camel
  • Golden diva
  • GNG BNG
  • RobertaFlack (feat. Dolly)
  • Testament (feat. Gonja Sufi)

Tracklist

  1. Brainfeeder
  2. Breathe.something/Stellar star
  3. Beginners falafel
  4. Camel
  5. Melt!
  6. Comet course
  7. Orbit 405
  8. Golden diva
  9. Riot
  10. GNG BNG
  11. Parisian goldfish
  12. Sleepy dinosaur
  13. RobertaFlack (feat. Dolly)
  14. SexSlaveShip
  15. Auntie's harp
  16. Testament (feat. Gonja Sufi)
  17. Auntie's lock/Infinitum (feat. Laura Donington)

Gesamtspielzeit: 43:17 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Pascal
2009-09-21 21:34:18 Uhr
@smörre: Sehe ich genauso. War wohl seiner und vor allem meiner Zeit voraus. Damals "nur" für gut befunden, heute würde ich wohl von einem der besten Werke des letzten Jahres sprechen. Ähnlich ist es mir bei der Fever Ray ergangen...
smörre
2009-09-21 16:59:06 Uhr
im nachhinein betrachtet, ist die platte noch viel stärker als 2008 angenommen.

ähnlich gelagerter musiker: nosaj thing. wer mag, hört da auch mal rein. sein debüt ist nicht ganz so rasant wie das flying lotus-ding, aber ebenfalls toll.
Nieöls
2009-09-21 15:16:56 Uhr
Sein Essential Mix bei BBC ist auch sehr empfehlenswert, wurde 2008 zum Mix des Jahres gewählt, ist in der Tat sehr toll. Perfekte Atmosphäre und perfekter Sound, herrlich.
humbert humbert
2009-05-11 17:35:02 Uhr
Tolles Album. Der perfekte Soundtrack für einen Blade-Runner-artigen Zukunftsfilm.
dude
2008-09-14 15:00:10 Uhr
thx @Harald, werd ich mir mal anschaun
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