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Scott Matthew - Scott Matthew

Scott Matthew- Scott Matthew

Glitterhouse / Indigo
VÖ: 07.03.2008

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Leidkultur

Der Kardiologe würde als erstes das außergewöhnlich große Herz erwähnen, das so kraftvoll schlägt wie ein Albatrosflügel. Der Radiologe würde die Glasknochen der fragilen Kompositionen beleuchten und sich über ihre Haltbarkeit wundern. Der Anästhesist würde den hauchzarten Arrangements einen hypnotischen, schmerzlindernden Effekt attestieren. Der Diät-Assistent würde die schlanke, reduzierte Produktion loben. Schließlich würde der Psychologe diagnostizieren, dass Scott Matthew mit seiner hochemotionalen, eindringlichen Stimme früher oder später jeden betören wird. Auch wenn es vielleicht eine Weile dauert, bis man sich an seine theatralische Artikulation, an das bisweilen bebende Timbre und an die schonungslose Intensität gewöhnt hat. Doch wer erst einmal so weit gekommen ist, wird ein Album erleben, dessen ätherische Schönheit und bewundernswert gefasste Leidkultur nur auf eines hinauslaufen kann: Erlösung.

Alles beginnt mit einer himmlischen Akustikgitarre, die sich in den Klangkörper einer Harfe imaginiert, mit einem perlmutschillernden Vibraphon durch Wiesen und Wälder schwebt und dabei elegant glitzernde Piano-Arpeggien pflückt. Der Komponist Matthew aquarelliert ein märchenhaftes Idyll, der Poet Matthew bevorzugt die entwaffnende Nüchternheit des präzise gespitzten Bleistifts: "To ask is selfish of me / But when you leave my company / Do you sometimes feel like an amputee?" Man ahnt, dass Matthew diese Millionenfrage nie gestellt hat; sie stattdessen in der Nachttischschublade verstaute, wie all die nie verschickten Briefe und Blicke. Tapfer zieht ein Cello seine Bahnen, während der Verlassene in "Abandonded" herzzerreißend über die Wunderlichkeiten der Einsamkeit monologisiert. Der Psychologe würde an dieser Stelle raten, das Wartezimmer zur Ankunftshalle zu machen. "Prescription" legt auch gleich eine Punktlandung hin - mit beschwingtem Rhythmus und rustikalem Banjo, mit Klabauterklampfe und Klimperklavier. Und auch wenn das getragene, petrolfarbene "Ballad dear" zunächst wie eine gramgebeugte Eskapismusfantasie erscheint, hält es doch eine essentielle Erkenntnis parat: dass man mit dem Alleinsein nie allein ist.

"Happy songs have worked for some / If I'm not wrong / This is my first one", gesteht der Protagonist im darauffolgenden "Little bird", begleitet von einer noch etwas skeptisch gestimmten Ukulele. Trotzdem weiß man ab Lied fünf, dass alles gut wird. Weil zuletzt eben doch die Hoffnung aufersteht. Zeit, mal kurz erleichtert Luft zu holen und ein paar biographische Daten einzustreuen: Matthew wurde in Queensland geboren, brach sein Musikstudium ab, jobbte im Kostümfundus der Australian Opera Company und verschwendete sein Talent an die Punk-Pop-Band Nicotine. 1997 ging er nach New York - vermutlich wächst seit dieser Zeit auch sein Bart, mit dem er anscheinend erfolgreich das Umdenfingerwickeln übte.

Matthews Songs, die zum ersten Mal vor zwei Jahren auf dem "Shortbus"-Soundtrack Beachtung fanden, sind ein einziges Einlullen, ein Wattieren, ein Illuminieren. Manchmal träumen sie aber auch überraschend nadelpieksend von einer Existenz als Akupunkteur. Zum Beispiel, wenn das Akkordeon im somnambulen "Laziest lie" abrupt eine Depression antäuscht oder wenn das Wörtchen "please" schwindelerregende Loopings fliegt. "I don't care / If the world's upside down / If you're lost or I'm found", zwitschert Matthew im Stück danach, als wäre nichts gewesen, und lässt eine federleichte Ukulele ins Blaue hinein raten, wie sich wohl Glück anfühlen könnte. Und dann erscheinen die beiden bezauberndsten Arrangements dieses Debüts am Horizont: das tiefschürfende Cello im schwerelosen Pianomantel, das "Habit" so fürsorglich den Puls wärmt, und die pastellfarbenen Waldhornumarmungen der Apokalypsenromanze "In the end". Matthew hat derweil schon ganz anderes im Sinn. In "Surgery" vertraut er seinem Flügel den Herzenswunsch an, den er bald in der Notaufnahme vortragen wird: "Transplant my hand into yours." Was der Herr Doktor wohl dazu sagen wird? Eines jedenfalls ganz bestimmt nicht: "Der Nächste, bitte."

(Ina Simone Mautz)

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Highlights

  • Abandonded
  • Prescription
  • Laziest lie
  • In the end

Tracklist

  1. Amputee
  2. Abandonded
  3. Prescription
  4. Ballad dear
  5. Little bird
  6. Laziest lie
  7. Upside down
  8. Habit
  9. In the end
  10. Surgery
  11. Market me to children

Gesamtspielzeit: 35:14 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Matteo
2008-12-03 00:41:02 Uhr
WOW! Nachdem ich das Haldernkonzert nur in halbwachem Zustand verfolgen konnte, sah ich ihn heute hochkonzentriert in Heidelberg.

Es war einfach magisch!
Dieser Mann hat besonders live eine unglaublich gute, gefühlvolle Stimme und die Instrumentierung war auch sehr überzeugend. Hinzu kommen noch seine sympatischen Zwischenansagen.

Die gespielten neuen Lieder fügten sich toll in die Setlist ein und lassen Großes erhoffen.

Außerdem war das komplette Publikum bis zum letzten Ton jedes Liedes still, der Applaus fiel dafür umso enthusiastischer aus.

Die Tonabmischung war auch nahezu perfekt, sodass es ein in allen Komponenten vollends überzeugender Konzertabend war.

Ein kleiner Wehrmutstropfen war das Fehlen von Ballad Dear.
Scott meinte nach dem Konzert, dass er auf der Tour bisher immer bei diesem Lied seine Stimme verloren hat.

Sein Debüt wird auf jeden Fall in meinen Jahres-Top3 auftauchen. Nach diesem Abend hat es aber auch durchaus Chancen auf den Spitzenplatz :)
Kilian
2008-05-08 10:38:32 Uhr
http://theyshootmusic.at/posts/15

http://www.fabchannel.com/scott_matthew_concert
LostInACity
2008-04-12 00:17:00 Uhr
Toll!
Kilian
2008-04-09 17:59:48 Uhr
Gänsehaut! und das Cello - wunderbar
dto
2008-04-05 18:34:01 Uhr
Ich muss Pure_Massacre recht geben...ich find aber auch dass Presciption wie Whistle for the Choir von den Fratellis klingt. :s

Aber ein tolles Album.
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