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Björk - Volta

Björk- Volta

One Little Indian / Polydor / Universal
VÖ: 04.05.2007

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Pacwoman

Rosenmontag. Ist natürlich auch so eine Sache, bei der das Wort schöner ist als die Bedeutung, die es mittragen muss. Kann Björk aber nicht wissen und deshalb auch nicht davon abhalten, ihr Leben seit einigen Jahren als Karneval 24/7 auszugestalten. Auf die Catwoman-Kostümierung zum unwahrscheinlichen Stimmungsmacher "Medúlla" folgte "The music for 'Drawing restraint 9'", das Björk als traurigen Clown aus einer David-Lynch-Fantasie zeigt und ansonsten schnell als Liebesbeweis an ihren Ehemann Matthew Barney abgetan wurde. Für "Volta" nun hat sie sich als Pacman-Endgegner verkleidet. Vielleicht soll es auch ein lebender Lutscher sein, aber das Entscheidende ist ja doch: Die Farben und wie sie ineinander verlaufen, die Formen und das rote Tuch dahinter - das ist die ganze große Platte in zwei ungelenken Halbsätzen.

Es ist längst einfacher, über ein Björk-Album zu sagen, was es nicht ist, deshalb in Kürze: "Volta" ist nicht die HipHop-Platte, von der im Vorfeld zwischenzeitlich die Rede war. Es ist keine knackige Hitsammlung, obwohl es gerade am Anfang mit dieser Idee flirtet. Es ist keine Spaßplatte, obwohl sie an mindestens zwei Stellen mehr Spaß macht als jede andere Björk-Veröffentlichung davor. Und es ist auch keine Rückbesinnung auf irgendwelche alten Stärken und Tugenden, weil so was ja schon mal gar nicht in die Tüte kommt. "Volta" ist, strenggenommen und wertungsfrei, eigentlich überhaupt nichts so richtig und stattdessen von sehr vielem ein bisschen. Es steht für sich alleine, im Katalog der Künstlerin und in der Musiklandschaft sowieso.

Sicher sagen lässt sich indes: Das sechste halbwegs richtige Björk-Album ist eine Gemeinschaftsarbeit, unter anderem unterstützt vom Sonic-Youth-Spießgesellen Chris Corsano und Lightning Bolt Brian Chippendale am Schlagzeug, Antony-&-The-Johnsons-Antony als Duettpartner, Toumani Diabaté aus Mali und Min Xiao-Fen aus China an den sonderbarsten Saiteninstrumenten ihrer jeweiligen Heimat, den Afrobeat-Poeten Konono N°1 als allgemeiner Feuerwehr und einer zehnköpfigen All-Girl-Blaskapelle aus Island. Das trotzdem und vor allem über die drei Beats gesprochen wird, die sich Björk von Timbaland zum Zerschnippeln und Zersingen produzieren ließ, ist nur logisch und gerecht: "Volta" ist dann am aufregendsten, wenn es mit diesen Biestern ringt, scheinbar keine Kontrolle mehr hat, aber eigentlich nur die lange Leine versteckt hält, an der es einen herumführt.

"Earth intruders" macht da den Anfang, spielt mit der Idee eines menschlichen Tsunami, der über das Weiße Haus schwappt, und klingt dann natürlich auch nach unaufhaltsamer Unbesiegbarkeit. Am Ende tröten ein paar Schiffe. Björk hat sich nämlich gerade eins gekauft, um darauf zu leben, wenn sie in Manhattan ist, alles klar? "Wanderlust" beschäftigt sich danach mit der eigenen Rastlosigkeit, der Beat ist hier ein bisschen beschädigt, die Disziplin weniger wichtig. Und "The dull flame of desire" blamiert zusammen mit Antony, Beerdigungsbläsern und Spielverderberschlagzeug alles, was in diesem Jahr erhaben, majestätisch oder prachtvoll genannt wurde. "Like lightning flashing in the sky / But there's a charm that is greater still."

Dann das Beste überhaupt an "Volta": Jener Moment, in dem diese mantraartigen Beschwörungen vorwarnungslos in den K.O.-Schläger "Innocence" übergehen. Sogar Björks rudernder, verzweifelt gegensteuernder Gesang wird hier einmal von unausweichlichen Bewegungsreflexen weggerissen. "Medúlla" war die Stimme, "Volta" ist der Rhythmus. Und obwohl die Platte das Tempo ihrer ersten vier Songs danach nur noch selten mitgehen kann, fällt sie niemals aussichtslos zurück, bleibt giftig und gefährlich und lässt sich höchstens von jenen Flausen ablenken, die sie im eigenen Dickkopf hat. Wenn schon keine klaren Worte, so findet Björk doch wenigstens klare Absichten gegen die Religion und ihre Mittel, um sich die Menschen in übersichtlichen, verlässlich verfeindeten Grüppchen zu halten. Wenn man nicht versteht, wovon sie singt, lässt es sich immer doch problemlos erfühlen.

"Declare independence" ist da vorbildlich. Ein kaputtes Ding zwischen Elektropunk und Kabelbrand, das ganz konkret als Aufruf an Grönland und die Färöer-Inseln verstanden werden kann, sich von Dänemark abzukapseln, aber auch als Feminismus-, Verbrüderungs- oder eben Unabhängigkeitsappell durchkommt. Es ist der schrillste und grellste Song einer Platte, die sich in der Mitte weit in sich selbst zurückzieht, vor allem von den Blasinstrumenten gestützt wird und ruhiger und ausgeglichener klingt, als der Gesamteindruck nahelegt, der von "Volta" bleiben wird. Wichtig ist nämlich: Die niemals satte Frau, die sich so gelenkig um die Silben biegt, hat auch diesmal wieder einige Stile verschluckt, die man ab heute nur noch ganz anders hören kann. "Restless relentlessly" - wenn sie so weitermacht, ist bald gar keine Musik mehr für die anderen da.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights

  • Earth intruders
  • Wanderlust
  • The dull flame of desire
  • Innocence

Tracklist

  1. Earth intruders
  2. Wanderlust
  3. The dull flame of desire
  4. Innocence
  5. I see who you are
  6. Vertebrae by vertebrae
  7. Pneumonia
  8. Hope
  9. Declare independece
  10. My juvenile

Gesamtspielzeit: 51:03 min.

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User Beitrag

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

2022-11-21 23:30:02 Uhr
Ein schwächeres Björk-Album ist immer noch besser als sehr viel anderes, was so veröffentlicht wird. Neben dem Opener liebe ich ja auch "Dull flame of desire" total, generell sind die ersten vier Songs grandios.

Unangemeldeter

Postings: 1261

Registriert seit 15.06.2014

2022-11-21 23:19:38 Uhr
Hatten wir ja an anderer Stelle schonmal: für mich ist das eins ihrer besten Alben. Ich muss hier grade mit Entsetzen lesen dass die Lieder 5-7 gehatet werden, die sind für mich alle drei Highlights. Wie kann einen denn die "passionate lover"-Stelle in I See Who You Are nicht packen? Und der Bläserchor am Ende? Und wie kann man sich nicht in die Decke aus ultrawarmen Hörnern aus Pneumonia wickeln wollen? Vertebrae by Vertebrae hätte auch gut auf Homogenic gepasst, Nicht-Song, pffff. Da hat sie doch deutlich unstrukturierteres Zeug rausgehauen, looking at you, Biophilia-Mittelteil.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31725

Registriert seit 07.06.2013

2022-11-21 23:01:47 Uhr
"Earth intruders" ist so ein fantastischer Song. Dieser Beat, diese Stimme. Für mich mit "Stonemilker" klar bester Post-"Vespertine"-Song.

Ansonsten find ich es seltsam, dass das Album bei rym klar abgeschlagen ist. Ich hätte Vorgänger, Nachfolger und "Utopia" für die breite Voterschaft als schwieriger empfunden. Gerade weil die ersten 4 Songs oder "Hope" ja recht "gerade" sind und auch poppige Melodien haben. Da finde ich die genannten 3 Alben in Gänze weitaus verschlossener.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31725

Registriert seit 07.06.2013

2017-08-29 11:09:06 Uhr
Ja, die erste und zweite Hälfte sind recht verschieden. Der Opener ist einer ihrer besten Songs, aber gerade Song 5-7 sind das, was hier jemand "Nicht-Songs" nannte.

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9320

Registriert seit 26.02.2016

2017-08-29 09:47:38 Uhr
Fängt sehr stark an, lässt aber ab der Mitte nach. Ich müsste es aber auch mal wieder hören, ehrlich gesagt. War für mich auch tatsächlich von den regulären Alben das schwächste.
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