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Arcade Fire - Neon bible

Arcade Fire- Neon bible

Sonovox / Merge / City Slang / Universal
VÖ: 02.03.2007

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

In einem dunklen Spiegel

Lassen wir die Kirche im Dorf! Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, eine Kirchenorgel allein macht noch keine Messe. Natürlich liegt es nahe, hier mit klerikalen Metaphern zu jonglieren - nicht zuletzt, weil Arcade Fire sich sogar eine Kirche gekauft haben, in der sie große Teile ihrer neuen Scheibe "Neon bible" eingespielt haben und sich in "Intervention" tatsächlich eine Kirchenorgel ins Klangbild mogelt. Anspielungen finden sich auch in Texten, im Mittelpunkt stehen sie indes nicht. Und so vernebelt sich den Blick mit Weihrauch, wer sich nur die sakralen Rosinen herauspickt. Es ist eher das Düstere, das hier regiert. Die Nachtseiten der Seele. Das allmähliche Verglimmen des Hoffnungsschimmers am Horizonts. Noch ist nicht alles verloren, aber die apokalyptischen Reiter haben ihre Klepper gesattelt.

Dem grandiosen "Funeral" saß der Schalk im Nacken. Umwuselt von einem kauzigen Streicherzoo und einem kunterbunten Instrumentensammelsurium woben Win Butler und Co. kleine, windschiefe Musikdramen. Sie schwelgten in kammermusikalischer Zartheit, um sie kurz später inbrünstig mit dem Vorschlaghammer zu zerlegen, und ließen die Stücke urplötzlich über die eigenen Füße stolpern, bis sie sich vor überraschenden Windungen selbst schwindelig spielten. Sie rockten wie Arsch auf Eimer und rissen mit orchestralem Charme die Bohlen aus dem Tanzboden. "Neon bible" gibt sich anfangs etwas spröder, wirkt zunächst gleichförmiger und nimmt häufiger den geraden Weg. Doch die Widerhaken krallen sich heimlich in den Gehörgang, und ganz allmählich entfaltet dieser Zweitling seine ganz eigene Sogwirkung.

Angefangen beim famosen, klaustrophobischen Opener "Black mirror", in dem die Streicher über donnernden Pauken und dickem Bläsersatz chromatisch kreiseln wie ein Geier, der sein Opfer noch drei, vier Haken schlagen lässt, ehe er sich auf ihn stürzen wird. Dazu fleht Butler entrückt: "Mirror, mirror on the wall / Show me when them bombs will fall." In "Keep the car running" schringelt sich ein Banjo zwischen Feedbackschwaden und Streicherclustern in eine tödliche Tarantella, ehe mit dem narkotischen Mantra "Neon bible" heimlich lähmendes Gift ins Ohr geträufelt wird, um einen mit den massiven Orgelschwaden von "Intervention" allmählich wieder aus dem Dämmer zu wecken. In der traumschön-düsteren Ballade "Ocean of noise" trifft sich die Band auf einen gallenschwarzen Unterwelt-Kaffee, um sich direkt danach mit "The well and the lighthouse" ekstatisch in den Bombasthimmel zu schrammeln und plötzlich doch mit Kehrtwenden zu überraschen. Irgendwo ist etwas explodiert, irgendwer hat dem Fass den Boden ausgeschlagen. Düstere Akkordfolgen werden von schepperndem Schlagzeug zerstückelt. Irgendwoher torkelt ein betrunkenes Klavier durch dunkle Gassen und sucht nach Wachs, um sich die Ohren vor glockenhellem Sirenengesäusel zu verschließen.

"Neon bible" braucht seine Zeit, um wirken zu können. Es sind die Details, die beim flüchtigen Hören vielleicht durchrutschen. Die versteckten Schichten, die sich erst allmählich hervorschälen. Die subtil verflochtenen Ideen, die mancher stoisch vorwärts pesenden Passage erst allmählich ihren Pfiff verleihen. So wurde für die neue Version des "Arcade Fire EP"-Lieblingsliedes "No cars go" ein echter Soldatenchor im Studio eingesperrt. "Neon bible" ist nicht der Widerspenstigen Zähmung. Es bricht nicht so keck aus, turnt seltener durch Extreme, versucht gar nicht erst, den kaum schlagbaren Vorgänger zu toppen. Es geht seinen eigenen Weg. Und auch wenn es ernster, dunkler und teilweise unscheinbarer daherkommt, wächst es mit jedem Hören. Mit "Neon bible" ist es, wie Butler in "Black wave / Bad vibrations" singt: "The sound is not asleep / It's working under my feet."

(Ole Cordsen)

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Highlights

  • Black mirror
  • Keep the car running
  • The well and the lighthouse
  • No cars go

Tracklist

  1. Black mirror
  2. Keep the car running
  3. Neon bible
  4. Intervention
  5. Black wave / Bad vibrations
  6. Ocean of noise
  7. The well and the lighthouse
  8. (Antichrist television blues)
  9. Windowsill
  10. No cars go
  11. My body is a cage

Gesamtspielzeit: 46:59 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Loketrourak

Postings: 2233

Registriert seit 26.06.2013

2024-03-12 10:06:00 Uhr
Mag sie noch immer lieber als Funeral und alles was danach kam. Die Band hat bei mir aber nicht den generellen plattentests-Stellenwert Schnitt von Arcade Fire.

MickHead

Postings: 228

Registriert seit 21.01.2024

2024-03-11 23:13:19 Uhr
Ein Meisterwerk. Unverständlich die 8/10 Wertung.
Heute noch keinen Deut eingebüßt! Ein Wohlklang!

Rote Arme Fraktion

Postings: 4107

Registriert seit 13.06.2013

2024-03-11 21:19:30 Uhr
Alter, ist das gut gealtert.

Vielleicht doch besser als Funeral und Surburbs?

Alle 3 jedenfalls irgendwo zwischen 9,5 und 10.

Fiep

Postings: 1203

Registriert seit 29.04.2014

2020-08-08 14:10:25 Uhr
Ist es denn schon wieder so lange her das ich Arcade Fire höre...

Reflektor und Neon Bible sind ihre Top Alben.
Könnte heute mal wieder beide durchhöhren, sitz sowieso 3 stunden im transit =D

Enrico Palazzo

Postings: 3884

Registriert seit 22.08.2019

2020-08-08 12:52:03 Uhr
Wie kann man Antichrist Television Blues keine 10/10 geben? Ist mir unverständlich!
Zum kompletten Thread

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