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The Decemberists - The crane wife

The Decemberists- The crane wife

Capitol / EMI
VÖ: 02.02.2007

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Die eigene Courage

Abgesehen davon, dass sie spinnen und trotz neuem Major-Vertrags noch immer arm sterben könnten: Die Decemberists sitzen in der Klemme. Eigentlich schon ihre ganze Karriere lang, seit sie aus den jeweiligen Hobbyschauspielgruppen flogen und zwangsläufig mit Musikinstrumenten weitermachen mussten. Sie haben etwas verstanden, dass keiner von uns jemals kapieren wird: Sie haben rausgekriegt, wie der perfekte Popsong geht. Ohne viel Tamtam, ohne großes Sitzfleisch, "Billy liar", "The engine driver", aus dem Stand für die Ewigkeit. Sie haben aber auch: Ambitionen - den schwierigen kleinen Bruder jedes Hochbegabten. Große Bögen wollen sie spannen, Sachen ausprobieren, Lieder singen, aus denen andere ein Buch machen würden. Sie langweilen sich mit ihren perfekten Popsongs. Und deshalb passieren Platten wie "The crane wife".

Das vierte Album der Decemberists aus Portland ist ihr schwächstes bisher, aber das hat nichts zu bedeuten, es zeigt höchstens, was für eine besondere Band sie sind. Eine Stunde lang denkt man vielleicht, dass sich die Stücke diesmal selbst im Weg stehen, dass das alles nicht zusammenpasst. "O Valencia" mit seiner schwindelig gespielten Melodie und "When the war came", das ungewöhnlich dröhnend und urgewaltig rudernd die Nadel vom Plattenteller scheucht. "The perfect crime 2", dem der Funk auf die schweißnasse Stirn geschrieben steht, und "Yankee bayonet" mit Laura Veirs samt gehauchtem "Ha ha ha"-Refrain, die Watte verpackte Leichtigkeitsmogelpackung der Platte. Alles wie geträumt, für sich genommen. Es fehlen nur die Links, der höhere Sinn. Und es fehlt Steve Urkel. Eine Stunde lang vielleicht.

Zweiter Versuch, erstes Lied - und sie hat einen doch. Möglicherweise ist es der Moment nach 49 Sekunden und einer Strophe, wenn das Schlagzeug und der Bass losgehen. Es könnte auch das bisschen Resthoffnung in Colin Meloy sein, wenn er "I will hang my head, hang my head low" singt, gestützt auf eine gut versteckte zweite Stimme. Auf jeden Fall und bezeichnenderweise ist es einer ihrer perfekten Popsongs, der die Decemberists und "The crane wife" auf Kurs bringt. Die E-Gitarre nimmt schon am Ende des Stücks Anlauf, denn sie braucht viel Schwung für die folgenden 12 Minuten mit "The island", das sich durch vier Teile schlängelt, über hohe Berge schleppt, dem Prog-Rock ein Schnippchen schlägt und die rasanteste Orgelabfahrt der Musikgeschichte lebend zu Ende bringt. Langsam verstehen wir uns.

Ein guter Zeitpunkt vielleicht, um sich die Songs mal von hinten anzugucken. Meloy soll "The crane wife" geschrieben haben, nachdem er auf ein altes japanisches Märchen gestoßen war, in dem ein mittelloser Mann einen verletzten Kranich vor seiner Tür findet und in liebevoller Pflegearbeit wieder aufpäppelt. Der gesunde Kranich verlässt den Mann wieder, am nächsten Tag steht eine hübsche Frau vor der Tür und was sonst noch wichtig ist, steckt schon im Titel der Decemberists-Platte. Natürlich setzt sie alles und nichts davon um, natürlich muss man nicht auf die kurzen Bemerkungen und Querverweise hören, mit denen "The crane wife" immer wieder zu seiner Ausgangsgeschichte zurückkehrt. Wer verrückt und verliebt genug ist, tut es aber trotzdem - und hat schon wieder mehr Arbeit am Hals.

Die Schwierigkeit ist diesmal also, den Überblick zu behalten, die Songs nicht aus den Augen zu verlieren bei soviel Geschichte und Bohai. Spätestens wenn "The crane wife 1 and 2" noch mal Nachtschichten anberaumt, Meloy ins Stolpern gerät und mit den königlichen Singalongs aus "Sons and daughters" von seiner Band abgefangen wird, ist man da sicher: Das Problem dieser Band ist höchstens, dass sie besser ist, als man sein sollte. Schlimmstenfalls sind die Decemberists so gut, dass es fast nicht mehr gesund für sie ist. Vielleicht haben wir deshalb so viel rumgemäkelt an ihrer vierten makellosen Platte. Vielleicht wären wir alle froh, wenn wir mal solche Sorgen hätten.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights

  • The crane wife 3
  • The island, come and see, the landlord's daughter, you'll not feel the drowning
  • Sons and daughters

Tracklist

  1. The crane wife 3
  2. The island, come and see, the landlord's daughter, you'll not feel the drowning
  3. Yankee bayonet (I will be home then)
  4. O Valencia
  5. The perfect crime 2
  6. When the war came
  7. Shankill butchers
  8. Summersong
  9. The crane wife 1 and 2
  10. Sons and daughters

Gesamtspielzeit: 60:12 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

kingsuede

Postings: 4076

Registriert seit 15.05.2013

2021-05-08 12:09:24 Uhr
Live auch unglaublich gut, aber das Erlebnis ist tatsächlich über 15 Jahre her (November 2005 im G9 zu Köln).

kingsuede

Postings: 4076

Registriert seit 15.05.2013

2021-05-08 12:06:14 Uhr
Da gehe ich mit fast allem mit. Picaresque bleibt unangefochten und gehört auch in meine Top 100 Alltime. The Crane Wife und The King is Dead batteln um Platz 2.

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9317

Registriert seit 26.02.2016

2021-05-08 12:02:31 Uhr
Opener, "The Island" und "Summersong" sind meine Highlights.
An manchen Stellen wird es mir etwas zu folk-döselig (finde grad kein besseres Wort), daher ist die "Picaresque" bei mir vorne.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

2021-05-08 11:56:07 Uhr
Der Opener ist wirklich unfassbar schön.

Yersinia

Postings: 598

Registriert seit 27.06.2013

2021-05-08 11:19:47 Uhr
Eben mal wieder gehört:

Was für eine schöne, dichte und wohlklingende Platte voller toller Melodien.

01 The Crane Wife 3 (10/10)
02 The Island, Come and See, The Landlord's Daughter, You'll Not Feel the Drowning (8/10)
03 Yankee Bayonet (I Will Be Home Then) (9.5/10)
04 O Valencia! (8/10)
05 The Perfect Crime 2 (8/10)
06 When the War Came (7/10)
07 Shankill Butchers (6/10)
08 Summersong (9/10)
09 The Crane Wife 1 And 2 (9/10)
10 Sons and Daughters (9/10)

8.5/10

Wunderbar.
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