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Tomte - Buchstaben über der Stadt

Tomte- Buchstaben über der Stadt

Grand Hotel van Cleef / Indigo
VÖ: 03.02.2006

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Was die Welt bewegt

Er ist es. Er ist es nicht. Er ist es. Er ist es nicht. Er ist es. Er ist es nicht... Es ist reine Glückssache, auf Anhieb festzustellen, ob ein Tomte-Album der ganz große Wurf ist oder eben nicht. Am besten, man schnappt sich ein Blümchen und zählt ab. Was wiederum für Menschen der Großstadt, wo Grünzeug nur noch im Kühlschrank und in der Badewanne wächst, keine einfache Aufgabe darstellt. Da hilft nur: hören, hören, hören. Etwas, das einst nicht möglich war, als "Hinter all diesen Fenstern" adäquat bewertet werden mußte. Auf die Schnelle. Nicht mal eine Woche war Zeit für die Rezension. Und im Nachhinein ist es einer der wenigen unrühmlichen Fälle, wo wir uns später geärgert haben, dem Album auf Plattentests.de die Höchstwertung verweigert zu haben.

Diesmal ist alles anders. "Buchstaben über der Stadt" hatte etliche Wochen Zeit, sich zu entfalten. Und die Erkenntnis zu bringen: Es ist nicht das beste deutschsprachige Album aller Zeiten, was man Tomte durchaus zugetraut hätte. Schließlich fehlte bei "Hinter all diesen Fenstern" ja schon nicht viel. Aber ihre Karriere ist ja noch lang. Und "Buchstaben über der Stadt" trotzdem ein wunderbares Album geworden, voller liebgewonnener Tomte-Trademarks, mit zehn Songs, die man auf Anhieb zuordnen und wertschätzen kann. Alter Wein in neuen Schläuchen, der süß schmeckt und von dem man nicht genug kommt, bis man berauscht ist, am Boden liegt und die Hände gen Himmel reckt. Ja, das ist es.

Gleich vorneweg prescht "Ich sang die ganze Zeit von Dir", der Song, den man wohl deswegen als Single gewählt hat, weil er der Tomte-typischste der Tomte-typischen Songs ist. Und doch ist etwas anders. Gleich hier. Thees Uhlmann ist seit zwei Jahren verliebt, hört man. In der Gerüchteküche und in den Songs: "Weißt Du, was Du mir bedeutest? / Auf einem Platz in meinem Herz / Steht Dein Name an der Wand." Früher sprang Thees' Herz immer hin und her, kreuz und quer durch die Welt, wie ein Flummi von Wand zu Wand. Jetzt hat es jemand gefangen, behütet es in seiner Hand. Das mag den Grundtenor der Songs weiter zum Positiven hin verändert haben, nicht aber deren Gefühlsschwere. In jedem Song wohnt Liebe. Und nun auch jede Menge Zuversicht.

Flüchtige Beobachtungen einzufangen, festzuhalten und allgemeingültig zu machen ist die große Stärke von "Buchstaben über der Stadt". Dafür ist Thees Uhlmann extra um die Welt geflogen, über den Atlantik. Nach "New York" auch, wo ausgerechnet die "Stadt mit Loch" die Erfüllung bringt. Die Reise führte den Wahl-Berliner auch zu einem ziemlich entfernt verwandten alten Ehepaar namens "Walter & Gail". Dort hat er die Augen sperrangelweit offen gehalten, schildert im passenden Song minutenlang Beobachtungen, bis sie sich wie ein Puzzle zusammenfügen zum erhabensten Moment des Albums: "Ich sah Deine Hand, die die ihre sah / Bei mir ist heile Haut, wo eine Wunde war / Es gibt Aufgaben, die zu erfüllen wär'n / Den Traurigen die Welt erklär'n."

Da hat einer offenbar seine Bestimmung gefunden: Tomte erklären nicht nur den Traurigen die Welt, sondern teilen mit vollen Händen Glück aus. Dieses schwer zu fassende Etwas, das man eigentlich für unteilbar gehalten hätte. Wer hat noch nicht, wer will nochmal? Thees Uhlmann ist plötzlich so etwas wie der Robin Hood der Trostlosen, der Rächer der Entmutigten, nicht in Strumpfhosen, aber in abgeschmackten Muskelshirts. Er zeigt uns, wie gut wir es doch haben. Und daß wir's noch viel besser haben können, wenn wir all das doch nur zu schätzen wüßten. Man nehme das weise, angenehm schlicht arrangierte "Auf meinen Schultern". Oder auch "Geigen bei Wonderful World", dieses zu Tränen rührende (keine Phrase, Tatsache!) Finale. Thees hat hierfür alle Freunde um sich geschart, auch Sven Regener an der Trompete. Er entdeckt kleine Details, gewohnte und gewöhnliche Instrumente in altbekannten Songs wie "What a wonderful world" von Louis Armstrong und "Moon river" von Pat Boone, die plötzlich ganz besonders werden. Und er sieht ein altes Ehepaar (noch eines, aber diesmal ein anderes) auf einer Bank sitzen, "glücklich am Ende eines langen Lebens / Und alles ist aus Gold." Sehr ergreifend. Sein persönliches Manifest, sagt Thees Uhlmann.

"Buchstaben über der Stadt" ist ein Album wie aus einem Guß, und das ist auch seine Stärke. Keine unnötigen Uptempo-Songs, und auch gesanglich hat Thees Fortschritte gemacht. So sehr, daß er bis ins Detail, bis hin zur Phrasierung nun beide Gallaghers zu imitieren vermag. Mal Liam, mal Noel. Passend dazu hat er "So soll es sein" parat, den besten Oasis-Song seit "Stand by me". Da ist Thees der Noel. Und der Liam dann wieder bei "Norden der Welt", dem astrein gereimten zweiten Single-Kandidaten: "Könnten wir geh'n vom Süden des Landes / Bis zum Norden der Welt, um zu seh'n, was der Stand is'?" Darauf muß man erstmal kommen. Und wie heißt es da noch so schön: "Wie lang hast Du überlegt? / Was es ist, was die Welt bewegt." Das hier bewegt die Welt, fürwahr. Dieses Album ist wie eine Schüssel Glückskekse. Man will sie alle auf einmal aufknacken und findet darin keine nebulösen Groschensprüche mit Druckfehlern. Sondern Sachen von echtem Wert, der in Geld nicht aufzuwiegen ist.

Was denn "Buchstaben über der Stadt" nun fehlt zum besten deutschsprachigen Album aller Zeiten? Wieder nicht allzu viel. Aber vielleicht die ganz große Hymne wie "Die Schönheit der Chance". Vielleicht anstelle der eher mittelprächtigen "Warum ich hier stehe" und "Sie lachen zurecht und wir lachen auch" noch zwei brillante Songs. Aber deren gibt es ja schon genug. Erst recht, wenn sie einen so hinterrücks überfallen wie der Quasi-Titelsong "Was den Himmel erhellt", bei dem der anfängliche Chorgesang arg daneben klingt, der dann aber doch noch die Kurve kriegt. Und wie! Da ist er plötzlich wieder, der Glücksritter Thees Uhlmann: "Ich gehe ohne Reue / Ich gehe ohne Furcht / Ich werde allen davon erzählen / Und alle werden verstehen." Über Los Angeles leuchten die Buchstaben "Hollywood", über Hamburg noch viel mehr. Um so greller. Das optimistische Manifest.

(Armin Linder)

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Highlights

  • So soll es sein
  • New York
  • Walter & Gail
  • Norden der Welt

Tracklist

  1. Ich sang die ganze Zeit von Dir
  2. So soll es sein
  3. Was den Himmel erhellt
  4. New York
  5. Walter & Gail
  6. Norden der Welt
  7. Warum ich hier stehe
  8. Auf meinen Schultern
  9. Sie lachen zurecht und wir lachen auch
  10. Geigen bei Wonderful world

Gesamtspielzeit: 42:35 min.

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User Beitrag

Kai

User und News-Scout

Postings: 2751

Registriert seit 25.02.2014

2023-02-06 20:33:41 Uhr
2005/2006 war ich sehr gern zu diesem Album betrunken und hab in der Kleinstadtindiekneipe diese Songs mit gesungen.

Heute mag ich das nicht mehr hören.

Z4

Postings: 8073

Registriert seit 28.10.2021

2023-02-06 20:26:12 Uhr
Das Album hatte seine Zeit, leider ist daraus aber eher eine Blaupause für Bourani & Kollegen entstanden, als ein guter Einfluss für gute neue Künstler. Diese Durchhaltemusik hat damals halt auch perfekt zur Wirtschaftslage und Einführung von Hartz IV gepasst, kein Wunder, dass das heute niemand mehr hören will. Den Vorgänger mag ich aber nach wie vor.

kingsuede

Postings: 4072

Registriert seit 15.05.2013

2023-02-06 19:34:47 Uhr
Und wieder 7 1/2 Jahre…
Die Tatsache...
2015-05-26 10:42:27 Uhr
... dass dieser Thread 7 1/2 Jahre ruhte, spricht klar für die Belanglosigkeit dieses Albums.
Ja, schon
2015-05-26 00:26:47 Uhr
habe es auch nie verstanden, warum ausgerechnet so ein verpeiltes Album wie HADF jetzt die Offenbarung sein soll. Finde Buchstaben und besonders auch das viel gescholtene Heureka klar besser. Die Solosachen find ich aber bis auf eine handvoll Songs eher affig.

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