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Martha Wainwright - Martha Wainwright

Martha Wainwright- Martha Wainwright

V2 / Rough Trade
VÖ: 11.11.2005

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Rebel princess

Um gleich zu Beginn die unvermeidliche Frage zu beantworten: Ja, es ist die Schwester. Drei Jahre jünger als Rufus. Beide wuchsen gemeinsam mit ihrer folkmusizierenden Mutter Kate McGarrigle, deren Schwester Anna und Cousine Lily in Montréal auf. Während andere Kinder unter der Bettdecke in taschenlampenbeleuchteten Walt-Disney-Heftchen blätterten, spielten Martha und Rufus stets den gleichen Wettbewerb durch: Leise wurde versucht, immer noch einen Ton höher zu singen als der andere. Bis entweder einer von beiden nicht mehr höher kam - oder einschlief. Eine bessere musikalische Früherziehung scheint es kaum zu geben, denn wie auch Rufus, fällt Martha durch ihre eindrucksvoll wandelbare Stimme auf, die wirklich alle erdenklichen Nuancen beherrscht: verführerisch säuselnd, melancholisch angerauht, anklagend rebellisch - jeder Ton sitzt perfekt, wie die Kostüme eines königlichen Hofschneiders. Hörbare Mimik inklusive. Martha Wainwrights Lieder werden theatralisch - aber niemals überzeichnet - vorgetragen. Es sind kleine Bühnenstücke, und es verwundert nicht, daß sie tatsächlich eine Weile an einer Schauspielschule studierte.

Die ausgeprägte orchestrale Opulenz und Musical-Affinität, für die Rufus Wainwright bekannt ist, sucht man bei seiner Schwester allerdings eher vergeblich. Und auch dafür gibt es einen naheliegenden Grund: Weil Bruderherz zu Hause stets das Klavier in Beschlag nahm, mußte Martha sich mit der Akustikgitarre zufrieden geben. Ein folkiger Grundton und klassische amerikanische Singer-Songwriter-Tradition ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr Debütalbum, für dessen Entstehung sie sich nicht gerade wenig Zeit ließ - die Lieder sind eine Art "Best of" ihrer Kompositionen der vergangenen acht Jahre. Warum dieses Album so lange auf sich warten ließ? Nun, Martha besitzt nicht nur das musikalische Talent ihres Bruders, sondern auch seinen Perfektionismus.

Und da ist noch eine erwähnenswerte Gemeinsamkeit: Die gnadenlos persönlichen und ungeschminkten Texte. Es ist kein Geheimnis, daß Loudon Wainwright III, der Kate McGariggle kurz nach Marthas Geburt verließ, sich nicht allzu sehr mit seinen Sprößlingen befaßte. Und wenn, dann höchstens in seinen Liedern. Mit vierzehn lebte Martha ein Jahr lang bei ihrem Vater in New York. Ihr tat die Frau so schrecklich Leid, über die Loudon in "I'd rather be lonely" Zeilen wie "Every time I see you cry / You're just a clone of every woman I've known" sang. Bis ihr Daddy eines Abends seinem Konzertpublikum besagtes Lied mit den Worten "I wrote this song about my daughter" ankündigte. Es ging darin um die desaströse New Yorker Vater-Tochter-WG. Das saß. Jetzt widmet Martha ihm die Akustikgitarrennummer "Bloody mother fucking asshole", nicht nur eine Art Abrechnung, sondern vor allem ein flammendes Fordern nach der schmerzlich vermißten Liebe ihres Vaters: "You have no idea how it feels to be on your own / In your own home."

Einsamkeit, das ist eines der zentralen Themen bei Martha Wainwright: "I have no children / I have no husband / I have no reason to be alive / Oh, give me one", klagt sie im grandiosen Opener "Far away", der nach schwerem Rotwein und Dämmerlicht klingt. "G.P.T." präsentiert schönsten Broadway-Pop und Jane Scarpantonis Cello-Künste - man kennt sie u.a. als Streicher-Arrangeurin von Adam Green. Beim wiegenden "Factory" wird Martha von Mutter Kate am Banjo unterstützt, bei "These flowers" und "Who was I kidding?" von Legende Garth Hudson (The Band) an Orgel und Saxophon. "Ball and chain" rechnet zu kantiger Rhythmik unverblümt mit einem Ex-Lover ab, einem Liebesnomaden, der schon längst zur Nächsten weitergezogen ist, für die Martha auch ein paar kühle Worte übrig hat: "I heard she could read and write, too / And she's getting a degree in fucking you."

"When the day is short" überrascht mit Country-Anleihen, das hinreißende, pianobegleitete "Dis, quand reviendras-tu?" - im Original von der französischen Sängerin Barbara - offenbart Marthas Leidenschaft für Chansons. Es überrascht nicht, daß sie Marlene Dietrich als Inspiration nennt. Ebenso nicht, daß bei so einer musikalischen Familie Cousine Lily Backing Vocals singt und auch Rufus nicht fehlt: Er fordert gemeinsam mit seiner Schwester "Bring back my heart". Ruhig, aber mit Nachdruck, einer Akustikgitarre im Arm und einem sanften Chor im Rücken. "Baby" demonstriert noch einmal Stimmbandakrobatik, die an Janis Joplin denken läßt. Martha Wainwright muß sich keineswegs hinter ihrem brillanten Bruder verstecken, ganz im Gegenteil: Sie hat ihr eigenes Schauspielhaus - ihr großes Talent ist ein ganz hervorragender Intendant. Und ihr Debüt eines der besten Alben, das die Frauenwelt in letzter Zeit hervorgebracht hat.

(Ina Simone Mautz)

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Highlights

  • Far away
  • G.P.T.
  • Factory
  • Bloody mother fucking asshole
  • Dis, quand reviendras-tu?

Tracklist

  1. Far away
  2. G.P.T.
  3. Factory
  4. These flowers
  5. Ball and chain
  6. Don't forget
  7. This life
  8. When the day is short
  9. Bloody mother fucking asshole
  10. Oprah song
  11. The maker
  12. Who was I kidding
  13. Wither must I wander
  14. Bring back my heart
  15. Baby
  16. Dis, quand reviendras-tu?

Gesamtspielzeit: 60:48 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
oldfield
2006-08-10 21:46:39 Uhr
kenne sie nur von der gruppe snow patrol, wo sie im duett den song "ste the fire in the third bar" singt.
eine klasse lied mit einer top stimme.
Michi Beck
2006-08-10 00:37:53 Uhr
"Bloody motherfucking asshole" ist wirklich ein großartiger song. hab sie grade beim haldern live gesehen und vielleicht lags an der soundeinstellung, aber der gesang war zu oft an der schmerzgrenze..und in jedem song dieser eine ton - zu laut, zu durchdringend.
Stefan
2006-08-09 21:05:42 Uhr
Jetzt hab ich das Ding endlich billig bei Amazon erstanden. Und bin ein wenig hin und her gerissen. Die erste Hälfte ist absolut fantastisch, wobei mir besonders Far Away und Factory gefallen. Ab This Life geht es allerdings abwärts, der Großteil ab da klingt banal, kitschig oder schlicht und ergreifend langweilig. Nur Bloody Mother Fucking Asshole, das einen absoluten Glanzpunkt darstellt, und The Maker konnten mich nochmals mitreißen. Alles in allem viel Licht und leider auch viel Schatten.
Stefan
2006-04-14 23:22:06 Uhr
Gottchen, die hab ich ja ganz vergessen. Muss ich mir endlich mal bestellen nächste Woche.
messlatte
2006-04-14 21:49:26 Uhr
mal einfach mehr hören und die fresse halten, als über phrasierungen zu schwadronieren und vergleiche anzustellen und die welt wird gleich viel lebendiger und bunter
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