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Pearl Jam - Binaural

Pearl Jam- Binaural

Epic / Sony
VÖ: 15.05.2000

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Urgesteine doppelt gut

Viel ist nicht mehr gelieben. Nirvana sind bereits 1994 mit dem Tod Kurt Cobains in die Geschichte eingegangen, Soundgarden haben sich aufgelöst, Mudhoney, Alice In Chains, die Melvins und all die anderen, die nie den wirklichen Durchbruch schafften, schwimmen auch heute noch unter der Oberfläche oder sind ganz verschwunden. Von jener Szene, die Anfang der Neunziger unter dem Namen Grunge die letzte Jugendrevolution hervorbrachte, ist also nur Pearl Jam, die Band, die nie so richtig ins Bild der wütenden Ankläger der Gesellschaft paßte, noch präsent. Ihre politisch ambitionierten Texte transportierten nicht die Wut und die innere Zerrissenheit, die Cobain so sehr zur Identifikationsfigur gemacht hat. Die Härte der eher metalorientierten Soundgarden blieb Ihnen fremd. Ihre Melodiösität drängte sie an den kommerziellen Rand der Szene und trotzdem oder gerade deshalb war bereits ihr Debütalbum "Ten" ein gewaltiger Verkaufserfolg und dürfte neben Nirvanas "Nevermind" das wichtigste Album dieser Zeit sein.

Wegen des überschäumenden Hypes um Seattle, der schließlich im Selbstmord Cobains gipfelte, zog sich jene Band, die mit dem Vorwurf des kommerziellen Plagitats gestartet war, nach und nach in den Untergrund zurück. Pearl Jam gaben jahrelang keine Interviews, veröffentlichten keine Videos oder spielten sich sonstwie ins grelle Licht der Öffentlichkeit. Über die Band war schlicht nur das zu erfahren, was ihre Musik transportierte. Die Alben wurden schwieriger und komplizierter, erreichten aber dadurch eine viel dichtere Konsistenz. Seit dem letzten Studioalbum "Yield" hat die Band begonnen, sich allmählich wieder mehr zu öffnen, wird im Sommer seit über dreieinhalb Jahren erstmals wieder in Europa touren und hatte mit "Last kiss" vor einem Jahr einen respektablen Singlehit. Doch wie wirkt sich die neue Offenheit auf ihren Sound aus?

Der Titel des Albums verspricht "Musik für beide Ohren". Man sollte genau hinhören und jeden Ton in sich aufzusaugen, denn einfach machen es Pearl Jam einem wie immer nicht. Bereits das Cover, das typisch für Pearl Jam eben etwas aufwendiger als bei einer gewöhnlichen Band daherkommt, macht Lust auf mehr. Die von der NASA erstellte optische Reflexion eines implodierenden Sterns, 8000 Lichtjahre von der Erde entfernt, erinnert an eine Sanduhr oder an zwei ineinander geflochtene Ringe. Das geheimnisvolle farbenprächtige Schillern stellt eine wunderbare Assoziation zum Wirken der Band dar. Pearl Jam scheinen inzwischen in ganz anderen Dimensionen, weit weg vom Irdischen und Faßbaren, zu denken und zu handeln. Das gigantische Artwork, das weit mehr Raum für Assoziationen bietet als ich hier ausfüllen könnte, zieht sich durch das gesamte Booklet und findet durch zwei weitere mystische Nebula-Aufnahmen, von denen eine auf dem Bookletcover die Entstehung eines neuen Sterns dokumentiert, seinen Höhepunkt. Hinzu kommt ein aufwendiges Songbook im Stil von "No code" und schließlich die schlicht in schwarz gehaltene CD.

Die enthaltenen 13 Tracks stellen sicherlich keine Neuerfindung des Bandstils, jedoch eine weitere Ergänzung und Perfektionierung dar. Langweilig wird ein Album von Pearl Jam ohnehin nie, aber diesmal wurde eine besonders ausgewogene Mischung aus eher straighten Uptempo-Nummern und folkigen Balladen gefunden. Über die Virtuosität, mit der Stone Gossard, Mike McCready und Jeff Ament ihre Instrumente bedienen, die alles durchdringende Stimme Vedders und das ausgereifte Songwriting der Band muß kein Wort mehr verloren werden. Hinzu gesellt sich noch der Ex-Soundgärtner Matt Cameron, der bereits Temple Of The Dog, jenem Sideprojekt zu Ehren des verstorbenen Andrew Wood (Mother Love Bone), angehörte, aus dem schließlich die Band Pearl Jam entstand. Cameron, bereits Drummer Nummer fünf in der Bandgeschichte, fügt sich durch sein treibendes Drumspiel nahtlos ins Mannschaftsspiel ein.

Das vorab ausgekoppelte "Nothing as it seems", das mit einem klagenden Gitarrensolo beginnt, frißt sich in ergreifender Schlichtheit direkt in die Gehörgänge. Text und Musik stammen übrigens in diesem Fall komplett vom Bassisten Jeff Ament. Daß Pearl Jam aber auch immer noch amtlich rocken können, beweisen bereits der Opener "Breakerfall" und das zweite Stück "Gods' dice", welche durch Kompaktheit und aggressives Gitarrenspiel bestechen und wohl viele Gelegenheitshörer schnell abschrecken werden. Im Mittelteil des Albums werden dann eher ruhigere Töne angeschlagen, "Light years" und "Thin air" sind hier mit ihren eher fragilen, aber wunderschönen Rhythmen die herausragenden Vertreter. Mit "Sleight of hand", einem großen, rebellischen Song gegen das blinde Gehorchen, glänzen Pearl Jam sogar in alter "Ten"-Manier. Es folgt die kurze und zerbrechliche Gitarrenballade "Soon forget" die bereits mit dem einleitenden "Sorry is the fool who trades his soul for a corvette / Thinks he'll get the girl, he'll only get the mechanic" klar macht, daß Pearl Jam lange nicht so müde sind, wie oft angenommen wird. Abgeschlossen wird das Album dann mit dem todtraurigen Abschiedssong "Parting ways", in dem es heißt "And though he's too big a man to say / There's a fear they'll soon be parting ways".

Sicher enthält dieses Album nicht das neue "Alive", auf das einige sicherlich seit Jahren warten. Auf echte Hymnen wird wieder einmal verzichtet. Die Stücke sind vielschichtiger, nicht mehr so einfach zu greifen, und selbst im Vergleich mit dem direkten Vorgänger "Yield" haben Pearl Jam sich wieder um mehr Distanz zu den Hörgewohnheiten der Masse bemüht. Dies tut der Faszination aber keinen Abbruch. Textlich versucht man sich ein bißchen vom Ruf des "Guten Gewissens Amerikas" zu lösen. Vedder verfährt nicht mehr ganz so anklagend und besingt auch schon mal Gefühle und Empfindungen, anstatt jedem Song krampfhaft tiefgreifende Inhalte aufzudrücken. Pearl Jam müssen sich keine Anerkennung mehr verdienen. Entweder man respektiert sie und ihre Musik so wie sie ist oder man hakt sie halt als zu schwer greifbar ab und betrachtet sie als längst verblichene Helden der Vergangenheit. Wer jedoch bereit ist, sich das Album mit Verstand und Aufmerksamkeit anzuhören, der wird merken, daß sie immer noch die Faszination und das Feuer in sich tragen, das damals den Weltenbrand mitauslöste und die Hoffnung auf das Gute im Menschen wachhält.

(Thorsten Thiel)

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Highlights

  • Light years
  • Nothing as it seems
  • Thin air
  • Soon forget

Tracklist

  1. Breakerfall
  2. Gods' dice
  3. Evacuation
  4. Light years
  5. Nothing as it seems
  6. Thin air
  7. Insignificance
  8. Of the girl
  9. Grievance
  10. Rival
  11. Sleight of hand
  12. Soon forget
  13. Parting ways

Gesamtspielzeit: 52:06 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Huhn vom Hof

Postings: 5736

Registriert seit 14.06.2013

2024-01-24 13:37:36 Uhr
Immer noch ein wunderschönes und teilweise sehr forderndes Album. 9/10

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31725

Registriert seit 07.06.2013

2020-02-03 23:50:01 Uhr
Oh ja, "Parting ways" muss noch mit in die Highlights. Grandios. Ihr bester Closer.

Given To The Rising

Postings: 7679

Registriert seit 27.09.2019

2020-02-03 19:58:27 Uhr
"Sleight Of Hand" ist mein Lieblings-PJ-Song. Könnte das Album mal wieder hören.

Huhn vom Hof

Postings: 5736

Registriert seit 14.06.2013

2020-02-03 19:56:54 Uhr
Ja, "Rival" ist auch königlich, genau wie der traurige Abschluss "Parting Ways".

9/10

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31725

Registriert seit 07.06.2013

2020-02-03 19:53:13 Uhr
Die Rocker sind nur gut, der Rest teilweise das beste, was sie je gemacht haben. Besonders "Nothing as it seems", "Of a girl", "Sleight of Hand" und eignetlich acuh "Rival".
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