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Jonathan Wilson - Rare birds

Jonathan Wilson- Rare birds

Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 02.03.2018

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Total entertainment forever

"Rare birds", die dritte Platte von Jonathan Wilson, hat von allem zu viel: Das Album ist viel zu lang, zu überfrachtet mit musikalischen Einfällen und stilistisch zu sehr aufgefächert, fast schon: fragmentiert. Maß halten war ja ohnehin noch nie die große Stärke des Kaliforniers: Jedes seiner bisher drei Studioalben kratzte an der 80-Minuten-Marke, präsentierte sich als verwinkelter Irrgarten, in dem psychedelischer Piano-Pop, elegischer Rock und gedankenverlorener Folk wilde Wurzeln schlagen. Sich zurechtfinden in diesen unübersichtlichen Labyrinthen? Schier unmöglich. Sich in diesen Weiten zu verlieren? Ziel und Zweck der Übung. Man muss sich eben nur darauf einlassen, denn Wilsons Werke funktionieren nicht wie herkömmliche Alben, sie brauchen Zeit, Aufmerksamkeit und Geduld, offenbaren dann aber ihren bunten, vielfältigen und nicht zuletzt zügellosen Charakter. "Rare birds" könnte also all jenen gefallen, die mit The War On Drugs liebäugeln, aber in manchen Momenten die Abwechslung vermissen. Im Grunde greift jedoch auch diese Beschreibung viel zu kurz.

Der Reichtum an Referenzen ist ohnehin ein ganz eigenes, diskussionswürdiges Thema hier: Wilson spielt sich einmal quer durch den Gemüsegarten der Plattentests.de-Lieblinge und avanciert somit natürlich selbst zu einem solchen: Wie bereits angesprochen gibt es Stücke, die in Sound und Stil an Adam Granduciels erfolgreiches Bandvehikel denken lassen, das achtminütige "Over the midnight" beispielsweise mit seinem treibenden Beat, seiner atmosphärischen Verdichtung und dem hingehuschten Gesang, der auch auf unserem letzten 10/10er-Meisterwerk "A deeper understanding" stimmig ins Gesamtbild gepasst hätte. Gitarre und Synthie-Flächen bilden einen kosmischen Teppich, Wilson reitet auf diesem durch die dunklen Nachtstunden, Langeweile kommt dabei ganz und gar nicht auf. Auch das ähnlich gepolte und ebenfalls ausufernde "Loving you" täuscht eine entsprechende Ästhetik an, spielt jedoch zusätzlich mit afrikanischen und orientalischen Einflüssen, die wie feines Garn ins Gewebe eingearbeitet wurden. Auch hier geben die Drums den pulsierenden Takt vor, Männerstimmen flirten mit dem Beat, das Echo der Streicher hinterlässt funkelnde Spuren auf den Klängen des Keyboards. Man kann hier tatsächlich von einem Trip sprechen, bei dem man Zeit und Raum völlig aus den Augen, vielleicht sogar gänzlich aus den Sinnen verliert.

Auch die künstlerisch-freundschaftliche Verbundenheit zu Father John Misty, seinem Bruder im Geiste, trägt auf "Rare birds" Früchte: Für das von einem schwermütigen Piano getragene "49 hairflips" taten sich die beiden Langhaar-Experten zusammen, später gesellen sich zu den zwei Stimmen noch dramatische Streichersätze, die Stimmung kippt gen Grizzly Bear. Weitere prominente Verstärkung fand Wilson in Lana Del Rey: Die Kronprinzessin der Laszivität liefert die betörende Background-Stimme im hymnisch angelegten "Living with myself", das im blau-goldenen Dämmerlicht über die Highways schleicht. Besonders hell leuchtet jedoch vor allem "Sunset Blvd", eine brillante, kluge und anekdotenreiche Pianoballade, die sich sogar kleine Vocoder-Sperenzchen genehmigt, dabei aber vollkommen seriös bleibt. Hypnotisch schraubt sich die Komposition im Laufe ihrer Spielzeit in andere Sphären. Hier wie da sammelt man als Hörer währenddessen Bezugspunkte, weniger als Mittel der bloßen, bürokratischen Kategorisierung, mehr schon, um selbst nicht die Übersicht, die Orientierung in diesem wilden Wirbel von Album zu verlieren: The Beatles, Elton John, Creedence Clearwater Revival, Bruce Springsteen, The Eagles und Pink Floyd könnten die Koordinaten heißen, aber auch Fleet Foxes, Radiohead, The Decemberists und Will Oldham. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob man überhaupt den Ausstieg aus diesem fabelhaften Album finden möchte. Bleibt man nämlich mittendrin, gefangen im Rausch, so setzen sich alle Puzzleteile nach und nach an die richtigen Stellen. Aus "zu lang" wird "genau richtig", aus "zu überfrachtet" ein zufriedenes Grinsen.

(Kevin Holtmann)

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Highlights

  • Over the midnight
  • Sunset Blvd
  • Loving you
  • Hi ho to righteous

Tracklist

  1. Trafalgar Square
  2. Me
  3. Over the midnight
  4. There's a light
  5. Sunset Blvd
  6. Rare birds
  7. 49 hairflips
  8. Miriam Montague
  9. Loving you
  10. Living with myself
  11. Hard to get over
  12. Hi ho to righteous
  13. Mulholland queen

Gesamtspielzeit: 78:41 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Gordon Fraser

Postings: 2553

Registriert seit 14.06.2013

2018-06-11 06:50:37 Uhr
Richtig tolles Album, das ich ohne PT wohl nicht entdeckt hätte. Auch ein richtig gutes Beispiel für ein sehr langes Album, bei dem die Spannungskurve in der zweiten Hälfte nicht rapide abfällt.
Jeez...
2018-03-27 23:45:27 Uhr
Unfassbares Konzert in Köln gerade
Tipp
2018-03-06 21:41:59 Uhr
Großartiges Album! Kannte ihn noch nicht, immer wieder schön solche Musik zu entdecken. Danke
Trarara
2018-03-05 12:53:44 Uhr
Klingt eigentlich eher nach Johnny Ray Wilson, ist aber ein verschwägerter Neffe von Lyle Wilson jr.
Schneeeule
2018-03-04 18:16:44 Uhr
Ich weiß nicht warum, aber ich verwechsle ihn immer mit Steve Wilson, manchmal auch mit Brian Wilson.
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