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Lou Reed - The raven

Lou Reed- The raven

Reprise / Warner
VÖ: 27.01.2003

Unsere Bewertung: Ohne Bewertung

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Faszination des Grauens

Es gibt Künstler, die müssen nun wirklich niemandem mehr etwas beweisen. Neil Young zum Beispiel ist einer davon. Der mürrische alte Mann im Holzfällerhemd hat über die Jahre derart viele wegweisende Großtaten vollbracht, daß selbst ein mißratenes Werk wie "Are you passionate?" höchstens als Fußnote seine lange Verdienstliste trübt. Und auch bei Lou Reed läuft der Hase kein bißchen anders. Fernab seiner vereinzelten Hits wie "Walk on the wild side" sorgte der ehemalige Velvet Underground-Kopf aus dem tiefsten - genau! - Underground heraus für etliche Referenzwerke jenseits des Mainstreams. Nicht er hörte auf andere, andere hörten auf ihn. Da ist es letztendlich egal, wie gut oder wie schlecht sein nunmehr zwanzigstes Album ausgefallen ist. An seinem Legendenstatus wird es nicht einmal kratzen können.

Und wie das nun mal ist bei einem Künstler, der schon alles gemacht hat (nur böse Zungen würden sagen: dem nichts mehr einfällt), ist das Ambitionierteste gerade ambitioniert genug. Statt eines gewöhnlich ungewöhnlichen Lou Reed-Albums mit düster-verschrobener Psychedelia bietet "The raven" etwas selbst im Lou Reed-Kosmos Neues: den Soundtrack zum Bühnenstück "POEtry", das US-Autor Edgar Allan Poe (1809-1849) huldigt und vor drei Jahren in Hamburg uraufgeführt wurde. Ein Trip in die surreale Welt des passionierten Zweiflers und Alkoholikers. Ein Trip voller Leidenschaft, Paranoia und tiefster Abgründe. Genauso zerfahren wie Poes Leben selbst.

Das klingt nun nicht nur nach einem anstrengendes Hörerlebnis, sondern ist auch eines. Da tränkt Lou Reed die "Overture" standesgemäß in Bombast, zerlegt sein "Perfect day" zerlegt sein "Perfect day" beklemmend düster in seine Bestandteile, läßt Gastsänger David Bowie den "Hop frog" machen, wird fünf beißende Minuten lang von agressiven Bläsern (u.a. Avantgarde-Jazz-Legende Ornette Coleman und Steven Bernstein) zerfressen und als "Guilty" angeklagt, um sich als Ol' Blue Eyes im swingenden "Broadway song" plötzlich den Sinatra-Hut aufzusetzen. Dazwischen sorgen immer wieder Spoken-Word-Beiträge von unter anderem Willem Dafoe (der Poes bekanntestes Gedicht "The raven" intoniert) für weitere Zäsuren. Auf der noch weitläufigeren Doppel-CD-Edition von "The raven" sind diese immerhin auf eine eigene Scheibe ausgegliedert.

Die Frage, wer so etwas braucht, steht nicht ganz zu unrecht im Raum. Selbst Velvet Underground-geprüften Hörern dürfte das Album zu zerfahren und abgedreht wirken, und reine Literatur-Freunde werden die Poe-Vertonungen mehr irritieren als verzücken. Und durch das Fehlen der Lyrics im Booklet wird das Verständnis für den Neuling auch nicht gerade erleichtert. Trotzdem gibt es mindestens einen unwiderlegbaren Grund, wieso "The raven" in jeden gutsortierten Plattenschrank gehört: "Who am I? (Triptena's song)" heißt dieser und ist am Ende des Albums versteckt. Viereinhalb Minuten weicht die Kunst einem Pop-Monument und der schmerzhaften Selbstfindung des nunmehr 60-jährigen Lou Reed: "I have to wonder what the rest of life will hold / I hold a mirror to my face / There are some lines that I could chase" stellt er fest und bringt damit jeden Atem zum Stocken. Die Frage steht und bleibt: "Who am I?" Um es mit den Worten Poes zu mutmaßen: "Alles was wir sehen oder scheinen, ist ein Traum innerhalb eines Traumes."

(Armin Linder)

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Highlights

  • The bed
  • The raven
  • Who am I? (Triptena\'s song)

Tracklist

  1. Overture
  2. Edgar Allen Poe
  3. Call on me
  4. The valley of unrest
  5. A thousand departed friends
  6. Change
  7. The bed
  8. Perfect day
  9. The raven
  10. Balloon
  11. Broadway song
  12. Blind rage
  13. Burning embers
  14. Vanishing act
  15. Guilty
  16. I wanna know (The pit and the pendulum)
  17. Science of the mind
  18. Hop frog
  19. Triptena's speech
  20. Who am I? (Triptena's song)
  21. Guardian angel

Gesamtspielzeit: 75:01 min.

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