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Liturgy - The ark work

Liturgy- The ark work

Thrill Jockey / Rough Trade
VÖ: 03.04.2015

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Verstörungswut

Armer Black Metal. Keiner nimmt ihn mehr ernst. Das Internet quillt über vor lustigen Bildern unter dem Rubrum "Black metallers doing normal stuff", ein verpeilter Ostberliner rappt zielgruppenwirksam über seine "Metalkutte", und zu allem Überfluss steht auch Hunter Hunt-Hendrix wieder auf der Matte. Zwar seinerseits ebenfalls mit Matte, aber auch mit dem dritten Liturgy-Album unterm Arm. Woraus sich nach dem schwer fassbaren Bolzen "Aesthetica" und Hunt-Hendrix' vielgescholtenem Grundsatzartikel über das (Un-)Wesen der dunkelsten aller Spielarten bleierner Gitarrenmusik zwangsläufig erneut eine Menge Fragen ergeben. Darf der das? Beenden Liturgy das Ende der Musik? Wer hat die Kokosnuss geklaut? Und natürlich: Ist das noch Black Metal? Antworten: Gibt es nicht. Zumindest nicht ohne Weiteres.

Denn Liturgy werfen jedem Metaller hier mehr Knochen hin, als er je wird abnagen können. Das fängt schon bei "Follow" an, das nach einer donnernden Fanfaren-Ouvertüre zu den elektrisch verstärkten Posaunen, Trompeten und sonstigen Tröten von Jericho ein Gamelan-Orchester mit glühenden Klangschalen bearbeitet – alternierende Blastbeat-Hackereien, hochfrequenzig kreischende Riffs, Crowd-Getöse aus der Konserve und panisches Glockenspiel inklusive. Wenn man diesen vernichtend auftrumpfenden dreieinhalb Minuten überhaupt etwas vorwerfen kann, dann allenfalls, dass Greg Fox' Schlagzeug letztlich doch nicht schnell genug ist, um wie ein Geräusch zu klingen. Und das war es dann auch schon mit berstender Monotonie, maximaler Raserei und anderen handelsüblichen Codes. Hunt-Hendrix hat mehr im Sinn als das.

Und blitzt im Folgenden doch noch einmal blanke Wut jenseits messbarer Geschwindigkeit auf, dann muss sie sich unterordnen, weil bei Songs wie "Follow II" oder dem fantastisch an den Nerven zerrenden "Quetzalcoatl" zunächst überschwappender Keyboard-Bombast, überrissene Techno-Stampfereien und versonnenes Georgel das Sagen haben. Die wirklich erschütternden Dinge dieses Albums finden anderswo statt – etwa im stoischen Mantra "Kel Valhaal", das mit gefühlten Tonnen von Bläsern martialisch alles in Grund und Boden stampft, sich wiederholt digital zerhacken lässt und erst gegen Ende die eine oder andere Coda und heiser skandierende Vocals einführt. Sogar These New Puritans' Jack Barnett schaut interessiert: Offenbar hat da jemand verstanden, was er seinerzeit auf "Hidden" mit "We want war" meinte.

Nicht das einzige Stück, das mit so grimmiger Entschlossenheit um sich selbst rotiert, dass es jeden Moment in die Luft zu fliegen droht: Auch "Father vorizen" beißt splitternd die Zähne zusammen und kickt so lange voluminös lärmenden Stoner-Rock vor sich her, bis Halswirbel und Hirnschalen knacken – ein fantastischer Brecher, bei dem Liturgy genauso den Groove entdecken wie im noisigen Pöbel-HipHop "Vitriol", wo Hunt-Hendrix zu hoffnungslos übersteuertem Bass-Synthie und beklemmenden Vocal-Mantras die Silben so penetrant zerdehnt, als würde sich Angus Andrew von Liars mit Techno Animal in einer Öltonne batteln. An dieser Stelle ist die Reizüberflutung komplett, und nicht nur für die Engelsstatuen auf dem Cover hilft nur noch beten. Black Metal hat das Gebäude angesichts solcher Majestätsbeleidigungen natürlich schon längst verlassen.

Dass er ab und zu doch noch mal reinschaut, kann der Verstörungswut von "The ark work" allerdings nichts mehr anhaben: Wenn der irre durchdrehende Zehnminüter "Reign array" zunächst mit stählernen Beißerchen das vorausgehende Intermezzo "Haelegen" in Fetzen reißt, macht das Stück ab der Mitte nämlich ausgerechnet mit einem hämischen Dudelsack-Break unliebsame Bekanntschaft. Abschließend zerschellen die frenetischen Leads von "Total war" an einer Rhythmusspur, die sich verzweifelt aufzurappeln versucht, aber schließlich kraftlos zusammensackt. Dem Hörer geht es ähnlich am Ende eines meisterhaften Bösewerks, das sein Spiel treibt mit Erwartungshaltungen, gesprengten Genrekonventionen und allem Krach der Welt – und so nicht zuletzt auch auf die Swans-Meilensteine "The seer" und "To be kind" verweist. Armer Black Metal. Es bleibt ihm wirklich nichts erspart.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Kel Valhaal
  • Quetzalcoatl
  • Father vorizen
  • Vitriol

Tracklist

  1. Fanfare
  2. Follow
  3. Kel Valhaal
  4. Follow II
  5. Quetzalcoatl
  6. Father vorizen
  7. Haelegen
  8. Reign array
  9. Vitriol
  10. Total war

Gesamtspielzeit: 56:16 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
GV
2015-11-03 13:33:42 Uhr
Konzert in Luxembourg war großartig (auch wenn nur 20 Leute da waren).
Die Band hat auch hier "nur" 50 Minuten gespielt, was für derart komplexe (und mitunter auch anstrengende) Musik, aber die perfekte Zeitspanne war.
Niklas
2015-10-29 10:06:09 Uhr
Wenn es viel ist auch mal 50. Aber ich hätte maximal noch einen Song vertragen. Ist sehr intensiv.

Demon Cleaner

User und Moderator

Postings: 5646

Registriert seit 15.05.2013

2015-10-29 08:56:54 Uhr
Die spielen nur 40 Minuten??
Niklas
2015-10-28 21:04:21 Uhr
http://www.spex.de/2015/10/28/monumental-und-etwas-entrueckt-liturgy-konzert-in-heidelberg-in-der-rueckblende/

Herder

Postings: 1836

Registriert seit 13.06.2013

2015-05-20 15:18:37 Uhr
Mit dem Abstand einiger Wochen und nach diversen Hördurchgängen: Schon irgendwie eine faszinierende Platte.
Ich kann nicht gerade sagen, dass ich "The Ark Work" richtig gut finde, dennoch höre ich immer wieder rein. Die Referenz zu These New Puritans "Hidden" finde ich da gar nicht mal so verkehrt: Die Platte war ja auch irgendwie zu groß, zu gewollt, zu konstruiert - ist aber trotzdem immer wieder ein lohnenswerter Trip.
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