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Sólstafir - Ótta

Sólstafir- Ótta

Season Of Mist / Soulfood
VÖ: 29.08.2014

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Unter Tage

Ach ja, die Schubladen. Irgendwie scheint es ein zwanghaftes Verlangen zu geben, jeder Musik ein Label überzustülpen, an dessen Regeln eine Band sich dann auch bitteschön zu halten hat. Bei Sólstafir war dieser Versuch schon immer vergeblich – zu vielfältig waren die Einflüsse, zu vielschichtig die Kompositionen. Und um die in dem Fall reflexartig vergebene Vorsilbe "Post-" zu vermeiden, dachten sich die Isländer kurzerhand eine eigene Richtung aus. "Icelandic Heathen Metal" soll es also sein, was die Herren aus Reykjavík hier bieten. Die eigentliche Aussage jedoch ist: "Ist uns doch völlig egal, wie Ihr unsere Musik nennt, wir machen eh, was wir wollen." Und das bedeutet vor allem jede Menge Atmosphäre und zerreißende Intensität, wie die letzten Alben "Köld" und "Svartir sandar" eindrucksvoll bewiesen. Nun also "Ótta", ein Zyklus über die acht Phasen, aus denen nach der isländischen Tradition ein Tag besteht – ein Konzept, das bereits vor der ersten Note andeutet, dass diese Platte wahrlich kein Soundtrack zur Hausarbeit sein sollte.

Stille. Ein Klavier spielt ein paar düstere Akkorde. Der ätherische Gesang von Aðalbjörn Tryggvason setzt ein. Nach wenigen Strophen ein donnerndes Riff aus singenden Gitarren, kulminierend in einen Refrain, der – wenn man denn schon einen Vergleich bemühen mag – an die melodischen Ausbrüche von Borknagar erinnert. Und plötzlich ist die Welt um uns herum nicht mehr existent. Herrgott, was für ein Spannungsbogen. Und doch ist "Lágnætti" nur Vorspiel für das, was der folgende Titeltrack bietet. Während zum Anfang noch die unendliche Weite der Vulkaninsel förmlich aus den Lautsprechern kriecht, erwacht der Song mit zunehmender Dauer. Und beginnt, mit minimalen, aber dafür umso effizienteren Tempoverschärfungen mitzureißen. Kriecht ins Ohr. Ins Hirn. Und bleibt für immer dort.

Nach der kurzen Verschnaufpause "Rismál" zeigen die Isländer dann mit "Dagmál", warum Genregrenzen für sie nicht nur bestenfalls lose Diskussionsgrundlage, sondern praktisch nicht existent sind. Es eröffnen düstere Arpeggien aus heruntergestimmten Gitarren, dann folgen gute fünf Minuten, für die das Attribut "großartig" eine Beleidigung wäre. Eine vielschichtige Collage aus Düsterrock der Marke The Cure, New Wave im Stil von Joy Division und frühen Killing Joke und – ja, tatsächlich! – Postrock, der so manche selbst ernannte Postrocker zu konservativen Spießern degradiert. Der einzige Nachteil ist, dass die folgenden Eruptionen "Miðdegi" und "Nón" bei aller Klasse dagegen zwangsläufig nur verblassen können. Aber was heißt hier verblassen? Das Riff-Gewitter am Ende von "Nón" ist weiß Gott mitreißend, ein erneuter Ausbruch aus der immanenten Düsternis.

Es ist diese Multidimensionalität, dieses Vielschichtige, das "Ótta" zu einer so überragenden Platte macht. Sind schon die Spannungsbögen der einzelnen Songs bisweilen zum Zerreißen gespannt, schlagen diese Tracks selbst den konzeptionellen Bogen vom Erwachen des Tages bis hin zum Höhepunkt der Nacht. Musikalisch gesprochen, ist dieser das abschließende "Náttmál", das alle genannten Qualitätsmerkmale nochmals auf sich vereinigt. Der Kreis schließt sich, sowohl im Mikrokosmos des Songs als auch im Kontext des ganzen Albums. Zwar ist "Ótta" im Vergleich zu den Vorgängern weniger sperrig, transportiert den Hörer aber immer noch in raue Welten – düster, melancholisch und unwirtlich. Im Schutz des Undergrounds haben sich Sólstafir zu einer Band entwickelt, für die in der Tat jede Schublade wie ein Käfig wirkt. Mit "Ótta" liefern die Isländer mehr als nur ein sensationell gutes Album ab, sondern schlicht große Kunst. Erhaben. Mächtig. Zutiefst berührend.

(Markus Bellmann)

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Highlights

  • Ótta
  • Dagmál
  • Náttmál

Tracklist

  1. Lágnætti
  2. Ótta
  3. Rismál
  4. Dagmál
  5. Miðdegi
  6. Nón
  7. Miðaftann
  8. Náttmál

Gesamtspielzeit: 57:26 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Donti
2016-10-18 15:44:33 Uhr
Ich hab Otta in letzter Zeit wieder öfter gehört und sage es is eins der besten Alben der letzten 3 Jahre

Markus

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 18

Registriert seit 12.06.2013

2014-09-29 14:45:23 Uhr
Auch an mir ist die Band bislang zugegebenermaßen ziemlich vorbeigelaufen, obwohl sie mir namentlich bekannt war. Und dankenswerterweise hat uns die Promo-Agentur trotzdem noch bemustert.
island und ireland
2014-09-25 05:51:49 Uhr
da kannst du einen drauf lassen.

Akula

Postings: 1

Registriert seit 14.06.2013

2014-09-25 00:22:30 Uhr
@kaufen kaufen kaufen, jungs!

Bei dir merke ich gleich, wie Ahnungslos du bist. Die Band existiert seit 1994 und hat bereits mit Í Norðri und das herausragende Í Blóði og Anda insbesondere in der Viking Szene für viel Aufsehen und Anerkennung gesorgt. Blóði og Anda ist dabei mal ein richtiges Brett.

@island

Ja es gibt eben auch stumpfe oberflächliche Metaller. Ich bin für vieles offen, ganz egal ob weinerlich oder nicht. Das was zählt sind andere Dinge.

@ireland

Und du bist natürlich der ultimative Metaller... klar.

Herder

Postings: 1836

Registriert seit 13.06.2013

2014-09-24 21:31:59 Uhr
Schöne Rezension, ich kann mich eigentlich nur anschließen. Ein sehr gelungenes Album und ich bin mal auf deren Konzert demnächst gespannt.
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