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Die Sterne - Flucht in die Flucht

Die Sterne- Flucht in die Flucht

Staatsakt / Rough Trade
VÖ: 29.08.2014

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Achtung, Hirnfick

"Hier kommt das Ende, wir haben alles versucht", kündigen Die Sterne im Titelsong ihrer aktuellen Platte an – was bleibt, ist die "Flucht in die Flucht". Die Sterne melden sich ab? Aber nicht doch. 22 Jahre nach Bandgründung und vier Jahre nach ihrem letzten Werk, "24 / 7" veröffentlichen die Hamburger ihr nunmehr zehntes Studioalbum. Ein ziemlich fideles Spätwerk so gesehen, mit neuem Sound, mit neuen Wendungen, daher aber auch ein ganz anderes, zeitweilig gar morbides: Die Sterne haben nach wie vor diesen funkigen Drive in petto, welcher Indie-Disko-Ärsche seit Jahrzehnten in Bewegung versetzt, andererseits durchlebt "Flucht in die Flucht" das eine oder andere psychedelische Wirrspiel.

Das Titelstück mit freundlicher Damenunterstützung im Chorus hat trotz seines fatalistischen Ansatzes ein dickes Grinsen in der Fresse. "Es fühlt sich gut an, unterm Tresen zu liegen", singt Spilker, und ob es nun der alkoholische oder der allgemeine Exitus ist, die Flucht in die Flucht beschreibt letztlich "das Ende eines saublöden Tags". Es geht um Stadt und Leute, um Melancholie und Gesellschaft und den Umgang mit selbigen. Mit dem Umweg über den Sarkasmus, in die Psychose. Das zentrale Stück des Albums, "Innenstadt Illusionen", leitet direkt zu "Flucht in die Flucht" über und gibt dem Titelsong seine Vorgeschichte. Der Song beginnt wie eine Wohnungsanzeige: "Bezahlbare Wohnung in den gängigen Vierteln gesucht." Der Protagonist bewegt sich in die Stadt. "Das, was da an meinen Schuhen klebt, ist möglicherweise zur Abwechslung mal keine Hundescheiße", heißt es weiter, Spilker liest mehr vor, als dass er singt. Der Akteur verweilt im Urbanen, entwickelt die ersten Neurosen. Das Stück zieht im Tempo an und wird zunehmend rauer. "Halt mich nicht auf, aber halte mich", bittet die Hauptperson noch einmal. Längst hat sie sich jedoch selbst verloren.

"Menschenverachtendverliebt" beschäftigt sich mit der Zwischenmenschlichkeit im städtischen Kosmos, damit, wie man seinen Kiez hasst und liebt. Mit einem dickeren Riff hat das Trio dabei sicher noch keinen Song eröffnet. "Ich hab heut' inneren Reichsparteitag / ... / Ich muss jetzt erstmal alles kontrollieren", setzt Spilker ein. "Ich bin, wenn es so was gibt / Menschenverachtendverliebt", heißt es weiter, die Gitarre scheppert, im Hintergrund wimmert der Chor. Die beschriebene Person lebt ihren Narzissmus voll aus und fordert zur Kapitulation auf, der fließende Übergang vom Unsicheren ins Irre wurde scheinbar lautlos vollzogen. Freundlicher ist die Stimmung in "Hirnfick", zumindest zunächst. Spilker spricht mit einem Gegenüber, bittet es um seine Telefonnummer und möchte sich ins Gefühlsleben des- oder derjenigen einklinken. In Wirklichkeit aber ist ein "Hirnfick" sein Ziel – seine Fragen klingen wie der Tropfen, der in der Folterkammer rhythmisch auf die Stirn des Opfers fällt. "Ich komm morgen wieder, wenn Du magst / Und wenn Du nicht magst", lässt den Hörer ein wenig erschaudern.

Die Sterne haben sich seit jeher gesellschaftspolitisch geäußert, einen derart tiefen Einblick in die Seele ihrer Figuren wie auf "Flucht in die Flucht", haben sie allerdings bisher noch nicht gewagt. Und es war gewagt – sich in den Irrungen von Stadtneurotikerhirnen herumzutreiben, endet nicht immer gütlich. Das Hamburger Trio aber lässt schließlich einiges an Erfahrung einfließen, auch die Soundanpassung gelingt, die teilweise die ganz dunklen Vorhänge zuzieht, wie in "Miese kleine Winterstadt". Nach einer guten Dreiviertelstunde "Flucht in die Flucht" ist auch der Hörer hirngefickt. Das Dumme aber mit dem Ficken ist auch hier: Es macht süchtig. Daher Obacht: Von dieser musikalischen Sexdroge kommt man nur sehr schwer wieder runter.

(Pascal Bremmer)

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Highlights

  • Ihr wollt mich töten
  • Menschenverachtendverliebt
  • Flucht in die Flucht
  • Hirnfick

Tracklist

  1. Wo soll ich hingehen?
  2. Drei Akkorde
  3. Ihr wollt mich töten
  4. Menschenverachtendverliebt
  5. Innenstadt Illusionen
  6. Flucht in die Flucht
  7. Hirnfick
  8. Mach mich vom Acker
  9. Miese kleine Winterstadt
  10. Der Bär
  11. Mein Sonnenschirm umspannt die Welt
  12. Wie groß ist der Schaden bei Dir?

Gesamtspielzeit: 45:05 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

rollator

Postings: 662

Registriert seit 14.06.2013

2014-09-19 09:03:24 Uhr
Gute Platte, und Spilkers Stimme hat sich doch (bis auf den überraschend häufigen Einsatz von Reverb) doch eigentlich nicht verändert.
Pforzheimer
2014-08-17 15:37:37 Uhr
Du hast anscheinend keine Ahnung von Rockabiliy. Melodie und Text sind ganz nett, aber mit Rockabily hat das nix zu tun, eher schon mit dem Rumpelpop der Posen/Interessante Gedanken-Phase.
Tucho
2014-08-16 23:40:31 Uhr
Die 24/7 war eine grandiose Platte !
Weil sie endlich das Element tanzbare Club-Musik mit den wunderbar-vertrackten Spilkertexten kombinierte.
Nun darf man sehr gespannt sein wie der zu erwartende Stilwechsel auf dem neuen Album gelingt.
Der Vorabrockabilly ist recht vielversprechend.

MM13

Postings: 2354

Registriert seit 13.06.2013

2014-06-05 09:34:11 Uhr
zurück zum alten sound kommt gut, obwohl ich persönlich 24/7 eigentlich auch richtig gut fand.
###
2014-06-04 20:47:43 Uhr
Gott, was ist nur mit SPilkers Stimme passiert??
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