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Leif Vollebekk - North Americana

Leif Vollebekk- North Americana

Outside / Cargo
VÖ: 11.04.2014

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Keine Stadt zu viel

Mit Leif Vollebekk verabreden wir uns nicht mehr. Jeder von uns kennt Leute, die notorisch zehn Minuten zu spät kommen, weil sie grundsätzlich mit Verzug losfahren. Jene, deren innere Uhr die akademische Viertelstunde fest verplant, um schließlich eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit zu erscheinen. Menschen, die eine ausgeliehene Platte frühestens nach einem halben Jahr zurückgeben. Aber wenn Leif Vollebekk noch einmal sagt, sein neues Album sei in Arbeit und erscheine bald, dann glaubt ihm außer den Planern des Berliner Flughafens und Axl Rose niemand mehr. 2010 (!) verkündete er bereits Aufnahmen mit Ex-Arcade-Fire-Mann Howard Bilerman – in unserer Leichtgläubigkeit gaben wir die Botschaft im Zuge seines sehr, sehr schönen Debüts "Inland" weiter. Zur Einordnung: Damals stand Stefan Kießling noch im WM-Kader!

Nun aber genug des Grämens und Kramens in einstigen Verheißungen. Denn der einzig akzeptable Grund für die Verspätung ist zugleich die beste Wiedergutmachung: "North Americana". Der Kanadier besaß eine klare klangliche Vorstellung seines Zweitlings und arbeitete auf eine Platte hin, die alt klingt, obwohl sie neu ist. Stichworte Retro und Vintage. Was inzwischen so normal und trivial klingt, trieb Vollebekk durch Studios in Montreal, Manhattan, Woodstock, La Frette-sur-Seine und wieder Montreal. Über Monate, über Jahre. "Sometimes a city is one too many, and a thousand ain't enough", kommentiert der 27-Jährige die Geschehnisse auf der Platte selbst. Wenn es diese Tour wirklich gebraucht hat, damit "North Americana" diese unaufgesetzte Natürlichkeit besitzt, dieses Home-Recording-Flair, dann könnte Warten bald staatlich anerkannte Freizeitaktivität werden.

Es ging und geht ihm stets um die richtige Stimmung für den richtigen Song – und hier passt sie zehn Mal. Da trägt das Knarzen des Stuhls seinen Teil bei, das hörbare Schlucken und Atmen Vollebekks in "From the fourth" oder der wohlige Hall in "Cairo blues". Diese Winzigkeiten sind so wesentlich wie marginal auf einer Platte, die wunderbar arrangiert und liebevoll dosiert ist. Dieses höfliche Tenor-Saxophon in "A wildfire took down Rosenberg": herzzerreißend schön. Der Pedal-Steel-Mundharmonika-Break in "Takk somuleidis": unwiderstehlich. Und der Dirigent des Ganzen phrasiert und musiziert mal wie Ryan Adams, dann wie Bob Dylan oder Tom Waits. Für reine Replikanten bliebe das bloße Scheitern, Vollebekk aber ist ein hervorragender Singer-Songwriter, der sich aus dem Schatten des Demuts löst und sich Schritt für Schritt ohne einen Anflug von Anbiederung den Größen der Zunft nähert.

Das hat er auch seinen Texten zu verdanken. Für seinen verstorbenen "Photographer friend" bespielt Vollebekk mit einer Piano-Ballade einen leeren Salon: "You take the future and leave me with the past." Und der "Pallbearer blues" ertönt, nachdem der Kanadier vom Tod eines anderen Freundes via Zeitungsannonce erfahren hat. Vollebekk beschreibt, mal simpel, mal lyrisch, detailgetreu wie universell, erinnert, träumt und erzählt auch gerne abseits von Reimschemata kleine Geschichten von Freundschaft, von Liebe, vom Trinken und von seinen Reisen. Miunter sind das wilde Routen.

Von Tennessee nach Island innerhalb von sieben Minuten im Western-Country-Folk "When the subway comes above the ground", der heulende "Cairo blues" verfolgt Vollebekk aus Ägypten in die klirrende Kälte und "At the end of line" ist ja irgendwie auch eine Destination. Sollte die einträchtige Harmonie von Akustikgitarre und Piano in der letzten Minute des Stücks wirklich der finale Klang sein, dann wird das ein friedvoller Übergang ins Nirwana, mit einer Träne im Auge und einem Lächeln im Gesicht. Passenderweise hängt über all dem der Schimmer längst vergangener Tage, weshalb die Sepiafärbung des Covers gleichsam als verbleichtes Bildnis ehrwürdiger Zeiten herhält. Wäre "North Americana" vor 40 Jahren erschienen, es gehörte heute wohl zu viel zitierten Werken. Könnte die Gegenwart dieses Wissen doch nur ausblenden.

(Stephan Müller)

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Highlights

  • Cairo blues
  • Photographer friend
  • At the end of the line
  • Takk somuleidis

Tracklist

  1. Southern United States
  2. Off the main drag
  3. Cairo blues
  4. Photographer friend
  5. At the end of the line
  6. A wildfire took down Rosenberg
  7. Takk somuleidis
  8. Pallbearer blues
  9. When the subway comes above the ground
  10. From the fourth

Gesamtspielzeit: 41:26 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Sick

Postings: 268

Registriert seit 14.06.2013

2014-04-21 02:27:58 Uhr
Nicht schlecht. Aber lange nicht so stark wie Kristian Matsson aka The Tallest Man On Earth.
Ich bleibe erstmal beim großartigen Schweden.
dreckskerl
2014-04-20 20:10:52 Uhr
ich finds ziemlich klasse, ryan adams in low- fi und jung, viiiiiel gefühl.
toll!!

danke plattentests, hab ich hier gefunden.

Sick

Postings: 268

Registriert seit 14.06.2013

2014-04-20 18:29:53 Uhr
Oh, schon wieder ein Tipp vom captain. Hör ich mir an...
Waller Dennis
2014-04-17 10:13:31 Uhr
Klassischer kanadischer Singersongwriter mit zu viel Talent und Zeit.

captain kidd

Postings: 3583

Registriert seit 13.06.2013

2014-04-16 19:17:28 Uhr
aufs erste ohr finde ich es jetzt nicht so dolle. nichts was m. ward, night beds oder wirklich buckley nicht schon eindrucksvoller hinbekommen hätten.
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