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Sun Kil Moon - Benji

Sun Kil Moon- Benji

Caldo Verde / Cargo
VÖ: 14.02.2014

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Ein Himmelhund von einem Schnüffler

Einsamer Streiter versus Medium aller anderen – seit Jahr und Tag macht Mark Kozelek als Sun Kil Moon das Allerbeste aus diesem alteingesessenen Singer-Songwriter-Konflikt. Die Mittel dazu besitzt er schon lange, und auch auf seinem sechsten Studioalbum "Benji" beharrt er auf ihnen wie auf einer alten Sandkastenfreundschaft. So regnet es hier allerlei 3/4-Takte, die Kozelek über seine Akustik-Pickings zu hochemotionalen Tropfsteinhöhlen synkopiert. Gleich das eröffnende "Carissa" konzentriert sich ganz auf die Kraft dieser Spielweise sowie auf Kozeleks Stimme, die sie in einer Gischt aus Löffelchenstellungen begleitet. Ebenso wie zum folgenden "I can't live without my mother's love" klagt Will Oldham dazu durch den Hintergrund, kurz wimmern ein paar Slide-Gitarren, aber eher zufällig, als seien sie im Abendwind am Studiofenster vorbeigeweht. Und mehr braucht es dann auch nicht. Stattdessen steht Kozelek mit Gesang und Gitarre ganz hervorragend für sich. Wie auch seine Songs für sich stehen. Oder seine Spielweise. Seine Stimme. Seine Alben. Alles ausschließlich beim Alten also? Nicht ganz, denn eine neue Qualität von "Benji" sind Kozeleks Texte, die nun nicht mehr wie Scripts zu einem herzerweichenden Coming-Of-Age-Film daherkommen, sondern eine beinahe romanhafte Dichte erreichen.

Wie jeder große US-amerikanische Ich-Erzähler breitet Kozelek sein Leben hierbei vor dem Hörer als Landkarten aus, die vor Orten, Situationen und Personen nur so wimmeln – auch wenn letztere, Kozelek-typisch, häufig bereits in den ewigen Jagdgründen weilen. Doch auch das ist gute alte US-Erzähltradition – die Reminiszenz, beziehungsweise Überzeugung, dass noch das profanste Leben erinnert, erzählt und bewahrt werden will: "Carissa was thirty-five / You don't just raise two kids and take out your trash and die / She was my second cousin, I didn't know her well at all / But it don't mean that I wasn't meant to find some poetry to make some sense of this ... Oh Carissa I'll sing your name across every sea." Europa tut sich diesbezüglich bekanntermaßen weitaus schwerer. Oder möchte wirklich jemand wissen, dass Onkel Hotte zwischen Arbeit, Eckkneipe und Sportschau auf Familienfeiern recht erfolglos Peter Alexander imitiert hat? Gewiss nicht. Und auch die Tatsache, dass er in Kindertagen nur zu gerne dem guten alten Fonzie beim Motorrad-Schrauben zusah, würde im Plattentests.de-Forum gewiss eher Kommentare wie "Das ist sehr interessant. Erzähl doch bitte mehr davon." provozieren.

Kozeleks Texte hingegen pulsieren geradezu vor solcherlei Einlassungen. Wie bei der anderen großen Traumfabrik wird der Privatismus jedoch, beginnend gleich beim Albumtitel, durch allerlei kulturelle und gesellschaftliche Allgemeinplätze zu erzählerischen Schatzkarten verdichtet. Für all diejenigen, die bei diesem Informationsreichtum doch einmal aus dem Blick verlieren, dass es hier vor allem doch um Kozelek geht, webt dieser dann noch kleine Trigger, Gedanken und Positionen ein, die von seinem Leben auf Tour, von Fankontakt und zerbrochenen Gitarren berichten. Vorrangig, so darf vermutet werden, gelten diese Berichte aber ebenfalls Kozelek selbst. Sie sind die Selbstbehauptung eines lyrischen Ichs, das sein Leben allein im Kontakt zu fremden wie bekannten Orten und Personen erzählen kann. Ein weiterer inszenatorischer Akt, in dem ebenfalls deutlich wird: Sich selbst fühlt und erkennt Kozelek nach wie vor durch und in seine(r) Musik.

Dieses Romanhafte birgt dann allerdings auch ein paar wenige musikalische Redundanzen: Dass der Blues die vorrangige Ausdrucksform für autobiographische Gesprächigkeit ist, und zwar ganz einfach deshalb, weil er minutenlang unbeirrt bis spannungsarm vor sich hin mäandern und dennoch Sinn ergeben kann, zeigt "I love my dad" aufs Vortrefflichste. Und für das folgende "I watched the film The song remains the same" sind über zehn Minuten ausschließlich Stimme und Gitarre vielleicht doch der ein oder andere Sekundenbruchteil zu viel. Doch selbst hier gilt: Solange Kozelek etwas zu erzählen hat, und das hat er zu jedem Augenblick dieser insgesamt 17 Minuten, hört man gebannt und begeistert immer weiter zu. Wie der frühe Bob Dylan nutzt Kozelek hier traditionell eingebürgte Akkord- und Taktmuster als Bühne für seinen Textüberschuss. Hörbuch mal anders also. Warum denn auch nicht?

Ab "Richard Ramirez died today of natural causes" und vor allem "Micheline" packt "Benji" dann aber auch musikalisch wieder merklich zu. Kozeleks ebenso sonore wie sentimentale Stimme gibt den Takt vor, einzelne Klavierläufe verirren sich in der Einsamkeit, ein Frauenchor zieht zum Background herauf und krempelt die Songs mal eben von Folk auf Soul um. "Ben's my friend" schleppt Trompeten und ein Solosaxophon mit sich herum, und Ex-Sonic Youth-Drummer Steve Shelley schlägt – wie bereits zuvor zum Unplugged-Grunge von "Dogs" und "Pray for Newton" – einen simplen, doch effektiven Beat. "Ba, ba, ba" finden Kozelek und sein Frauenchor dazu – es sind die letzten "Worte", die "Benji" anzubieten hat, was die Kraft dieses Albums noch einmal kongenial zusammenfasst. Mag etwa "April" in einzelnen Momenten ein wenig intensiver und ergreifender gewesen sein, so findet "Benji" eine Fülle, Spiel- und, vor allem, Erzählfreude, die zuvor kaum von Kozelek zu vernehmen war. Einsames Medium, Streiter aller anderen? Kein Widerspruch, sondern eine weitere Fabel, die "Benji" in ehrfürchtige Bewegung versetzt.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights

  • Carissa
  • I can't live without my mother's love
  • Richard Ramirez died today of natural causes
  • Micheline
  • Ben's my friend

Tracklist

  1. Carissa
  2. I can't live without my mother's love
  3. Truck driver
  4. Dogs
  5. Pray for Newton
  6. Jim Wise
  7. I love my dad
  8. I watched the film The song remains the same
  9. Richard Ramirez died today of natural causes
  10. Micheline
  11. Ben's my friend

Gesamtspielzeit: 61:52 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Demon Cleaner

User und Moderator

Postings: 5646

Registriert seit 15.05.2013

2014-10-14 12:17:52 Uhr
War On Drugs: Such My Cock

Wahnsinn.

Demon Cleaner

User und Moderator

Postings: 5646

Registriert seit 15.05.2013

2014-10-10 14:04:10 Uhr
Die Texte sind einmalig. Allerdings muss ich zustimmen, dass das Ding im Vergleich z.B. zur "April" wirklich langatmiger wirkt. Diese hatte eine bessere, einheitlichere Stimmung zu bieten, "Benji" funktioniert einfach mehr über die Lyrics.

Kevin

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 1023

Registriert seit 14.05.2013

2014-10-09 22:56:22 Uhr
Mal wieder rausgekramt. Nach wie vor eine schöne, aber auf Dauer etwas langatmige Platte, die nicht ganz ohne Füller (vor allem "Truck driver") auskommt. Dennoch sehr stimmungsvolles Werk. Und folglich auch Anwärter auf die Jahres-Top-20.

7/10 mit Tendenz zur 8/10.

Highlights:
- "Carissa"
- "I can't live without my mother's love"
- "Ben's my friend" (Bester Song, "blue crab cakes" und das Saxofon!)

Herder

Postings: 1836

Registriert seit 13.06.2013

2014-06-25 21:09:12 Uhr
Das neue Kozelek Live-Album "Live at Biko" wird gerade hier gestreamt:

http://pitchfork.com/advance/478-live-at-biko/

Schön.
Oceanfoolhead
2014-03-20 14:05:26 Uhr
P.S.: Ich bin im falschen Thread gelandet.
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