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Radical Face - The family tree: The branches

Radical Face- The family tree: The branches

Nettwerk / Soulfood
VÖ: 01.11.2013

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Von Brücken und Brüchen

Man darf nach wie vor sagen: Die Frischzellenkur, die sich Ben Cooper aka Radical Face mit The roots, dem ersten Part des dreiteilig angelegten "The family tree"-Projekts, verpasste, stach absolut hervorragend. Allein durch die Reduktion auf Instrumente des beginnenden 19. Jahrhunderts bekam Coopers Musik nach dem nicht minder hervorragenden Debüt "Ghost" einen neuen Herzschlag, der sich in den Arrangements und Harmonien gar nicht erst wiederzuspiegeln brauchte. Mit "The family tree: The branches" kommen nun Instrumente hinzu, die bis ins beginnende 20. Jahrhundert hineinreichen – weitergeführt werden hingegen einzelne Themen, musikalische Phrasen oder Charaktere, die bereits auf "The family tree: The roots" zu finden waren. Der Aufbau ist demnach klar und wird konsequent fortgeschrieben. Und doch verliert sich Cooper jetzt ein wenig – allerdings weniger zwischen den Jahrzehnten als vielmehr in der Eigensinnigkeit seiner Arrangements, die nun nicht mehr allein altbewährt, sondern zunehmend auch altbekannt ausfallen.

So präsentiert "The family tree: The branches" in loser Reihenfolge: Rim-Clicks, Klavier-Dreiklänge, Huhuuuu-Choräle, Handbeklatschtes, folkloristisch Gestrichenes und akustisch Gepicktes. Und zwar in nahezu jedem einzelnen Song. Bei dieser (erneuten) Volldröhnung aus cooperschen Alleinstellungsmerkmalen liegt es dann weniger an der genügsam ins Schwarz-weiß ausdünstenden Atmosphäre, an all den ätherischen Gesangslinien zu geschichtsträchtiger Lyrik oder an den nach wie vor ebenso maritimen wie heuschobernden Stimmungen und Wolkenschlössern, ob ein Song steht, fällt oder – dies am häufigsten – auf weichen Knien vor sich wackelt. Nein, auch "The family tree: The branches" verlangt letztlich nach großen Tröstermomenten, aufgeführt zu rhythmischer Prägnanz und melodischem Übermut. Doch das Album will zunächst einfach nicht so, wie es sich mutmaßlich auch Cooper gewünscht hätte.

So ist vor allem das Beginner-Drittel im Radical-Face-Kosmos wenig mehr als, eben, altbekannt bis altbewährt – umschippert allerdings auch ein weiteres ähnlich lautendes Adjektiv ebenso gekonnt wie glücklicherweise. Trotzdem zeigt ein Stück wie "Crooked kind" weitaus energischer, wie es gehen muss: Alle ausgewiesenen liebgewonnenen Komponenten sind zugegen und zuckeln vertraut vor sich hin, bis sich der Song in eine (weitere Cooper-typische) Klavierkaskade öffnet, die die Sonne im Song zugleich auf- und untergehen lässt. Das folgende "Chains" nimmt den Elan mit, erlöst gar die Standtom vom wackeren Viertelnoten-Mitzählreim und präsentiert stattdessen einen Beat-Prototyp, der die Entwicklung von Album, Jahrzehnt und Instrumentenpark auch im Arrangement wiederfindet. Und ab dem erneut großartigen "Letters home" bekommt "The family tree: The branches" dann auch eine echte Idee davon, wie all das von Beginn an hätte klingen dürfen: Denn auch "Southern snow" und "The gilded hand" arbeitet Cooper schlussendlich zu einer Art Roots-Shoegaze um – und zwar mit ganz behutsamen Schritten, in aller gebotenen Ruhe sowie auf ungemein leisen Sohlen.

Konzentriert sich der Hörer auf eben diese Verwandlung, so zieht auch erstmals wieder das coopersche Genie vor seinem inneren Auge vorbei – freundlich winkend und in seiner Nussschale auf- und abwogend, also ganz so, wie sich das gehört. Und natürlich ist es auch konzeptionell schlüssig, dass Radical Face die erste Hälfte von "The family tree: The branches" dazu benutzt, um sich aus dem Vorgänger-Album herauszuarbeiten. Schließlich zählen zu einer anständigen Biographie ebenso die Brücken wie die Brüche zwischen den Jahrzehnten. Dennoch gelingt es Cooper nicht durchgehend, seinen Familien-Stammbaum zu einem echten Werdensprozess umzuarbeiten – was durchaus das Problem jeglicher Geschichtsschreibung ist und deshalb auch ein wenig unfair in Anbetracht von Millionen Folkalben, die zuallererst an ihrer selbstbezüglichen Transusigkeit scheitern und nicht an einem überaus ehrgeizigen Projekt. Deshalb scheitert auch dieses erste Albumdrittel allein am fabelhaften Rest und zeigt sich "The family tree: The branches" insgesamt gar als mittleres Kind, also als weiterer Klassiker des Familienromans: orientierungslos, missverstanden, neidzerfressen auf die großen/kleinen Geschwister – und doch auch voll schlummerndem Kampf- und Schöpfungsgeist.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights

  • The crooked kind
  • Letters home
  • Southern snow
  • The gilded hand

Tracklist

  1. Gray skies
  2. Holy branches
  3. The mute
  4. Reminders
  5. Summer skeletons
  6. The crooked kind
  7. Chains
  8. Letters home
  9. From the mouth of an injured head
  10. Southern snow
  11. The gilded hand
  12. We all got the same

Gesamtspielzeit: 45:09 min.

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User Beitrag

MartinS

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 1395

Registriert seit 31.10.2013

2013-11-26 18:08:55 Uhr
Naja, hatte halt ein paar Wackler drin. War aber nicht wirklich störend. Find ich zumindest.
Zum Publikum: Ich hoffe damit niemandem auf die Füße zu treten, aber bei 'mittleren' bis 'größeren' Konzerten in München fällt es doch irgendwie immer wieder auf, dass eine Minderheit scheinbar nur zum gesehen werden, rumlabern und biersaufen da ist. Und ich bilde mir ein, beim diesem Thema wahrlich nicht kleinlich zu sein. Naja, egal.

Rickolus war auch ziemlich cool, wobei mir ehrlich gesagt die verpeilten Ansagen mehr zusagten, als die ganz ordentlichen Songs.

Demon Cleaner

User und Moderator

Postings: 5646

Registriert seit 15.05.2013

2013-11-26 17:02:40 Uhr
Ich hab ihn in Hamburg gesehen. Fand es auch sehr toll, auch wenn seine Stimme live recht gewöhnungsbedürftig war teilweise. Das Publikum hat dafür dort nicht gestört.

Toll auch Rickolus als Voract, fand ich serh beeindruckend. Hab mir von dem das handgemachte Album geholt.

MartinS

Plattentests.de-Mitarbeiter

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Registriert seit 31.10.2013

2013-11-26 16:14:02 Uhr
Gestern in München gesehen. Trotz des in München wie immer nicht einfachen Publikums und der hässlichen Baustellenatmosphäre des Backstage ein tolles Konzert.
Herrlich, wie manche Songs live einen völlig anderen Eindruck hinterlassen (allen voran das fast postrockige "Along the road").
Und überraschend, wie laut diese Band live doch sein kann.

mispel

Postings: 2471

Registriert seit 15.05.2013

2013-11-20 18:15:56 Uhr
Gestern live in Köln gesehn und es war einfach ein Traum. Die Location war eine alte Kirche, sehr schön illuminiert und mit einer unglaublich guten Akkustik. In Verbindung mit den Songs ergab das einfach eine atemberaubende Atmosphäre. Genervt hat lediglich dieses Scheiss-Hipster-Gesocks, dass das Maul nicht halten konnte. Manche Leute scheinen echt nur auf Konzerte zu gehen, weil sie sich cool dabei vorkommen und weniger weil ihnen was an der Musik liegt.

Demon Cleaner

User und Moderator

Postings: 5646

Registriert seit 15.05.2013

2013-11-18 08:55:29 Uhr
Sehe ihn Donnerstag in Hamburg im Übel&Gefährlich. Bin gespannt drauf!
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