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Anna Calvi - One breath

Anna Calvi- One breath

Domino / GoodToGo
VÖ: 04.10.2013

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Überall und nirgends

Auf dem Debüt: ein angedeutetes Dekolleté und ein sinnlicher Mund. Hier: ein stechender Blick. Also glotzt nicht so romantisch: Anna Calvi guckt zurück. Kajalunterlaufen, herausfordernd, unerbittlich. Kein Zweifel: Sie will, dass man ihr zuhört. Ihren ausladenden Songs, ihrer Stimme, die meist genauso rotgerändert klingt, wie ihre Lippen aussehen, und natürlich ihrer Gitarre, mit der sie seit jeher wie verwachsen ist. Also tief Luft geholt – und hinein ins musikalische Wechsel- und emotionale Stahlbad von "One breath". Doch zunächst scheint alles halb so schlimm: Schon der zweite Song ist "Eliza", die davonpreschende Single mit dem umarmenden Refrain und dem vielfingrigen Solo, bei der eigentlich alle Zeichen auf Hit stehen – wie "Desire" vom Vorgänger, nur ohne Tempolimit. Aber warum funkelt die Guteste bloß so garstig?

Bereits "Anna Calvi" war schließlich eine wundersame Zusammenkunft von PJ Harveys sprödem Charme, preziöser Torch-Song-Grandezza und mitunter auch akustisches Gegenstück zu den roten Samtvorhängen aus David-Lynch-Filmen. Und obwohl sich die Künstlerin darauf bisweilen in vornehmer Zurückhaltung übte, konnte man dazu wohlwollend die Augenbrauen hochziehen und anerkennend "Uh huh her" murmeln. Nun muss man wissen, dass sich Calvi weniger als Sängerin, sondern vielmehr als Musikerin oder genauer gesagt als Gitarristin versteht und unter anderem Jimi Hendrix als Referenz angibt. Und damit man das diesmal nicht wieder fast überhört, hat der von den Indie-Alptraumrockern The Paper Chase bekannte Produzent John Congleton auch schon die Giftspritze gezückt. Da erklärt sich die Unversöhnlichkeit im Artwork fast von selbst.

Passend dazu injiziert Congleton dem bedrohlich rumpelnden "Piece by piece" kleine Noise-Gemeinheiten, ehe Calvi inmitten ihrer gehauchten Vocals erstmals die Telecaster übers Knie legt. Zwar nur wenige Augenblicke lang, aber dafür fürchterlich laut und rabiat. Womöglich die Entsprechung zum Albumtitel, der laut der Britin den letzten Atemzug beschreibt, bevor etwas Unvorhersehbares über sie hereinbricht. Die "Love of my life" gar? Wenn ja, hat der Geliebte wenig zu lachen: Dröhnende Riffs künden von der nahenden Gefühlsapokalypse, atemlos japst sich Calvi durch rohe Breaks, bis die Hoffnung auf Erlösung in tosendem Stakkato explodiert. Selten lagen Erfüllung und Ruin näher beieinander als in diesem fantastisch stampfenden Ungetüm. Doch das ist nur eine Instanz der Selbstinszenierung auf "One breath".

Mal gibt Calvi die große Diva, mal die böse Rock-Vampöse – hält "One breath" aber auch mit melodieseligen Singalongs und Harmonien zusammen, die häufig wie das Pfeifen im dunklen Walde wirken. Das Titelstück schwingt sich zu einem so massiven Streicherapparat auf, dass sogar Ennio Morricone der Atem stockt. "Sing to me" schmeichelt ähnlich vollmundig wie die selbstvergessensten Momente von Goldfrapps "Felt mountain" – und fällt beim ruppigen Akustik-Folksong "Tristan" danach sofort aus allen Wolken. Und so flirtet "One breath" mit laut und leise, aggressiv und verletzlich, überall und nirgends – kommt jedoch weder bei dunklem Pathos noch bei Drama-Pop oder lärmigem Gerüttel richtig an. Vielleicht ist also auch für Calvi der Weg das Ziel auf einem meist spannenden, zuweilen betörenden Album, das aber letztlich eine Momentaufnahme bleibt.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Eliza
  • Piece by piece
  • Love of my life

Tracklist

  1. Suddenly
  2. Eliza
  3. Piece by piece
  4. Cry
  5. Sing to me
  6. Tristan
  7. One breath
  8. Love of my life
  9. Carry me over
  10. Bleed into me
  11. The bridge

Gesamtspielzeit: 39:12 min.

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