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Mélissa Laveaux - Dying is a wild night

Mélissa Laveaux- Dying is a wild night

No Format / Naïve / Indigo
VÖ: 16.08.2013

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Biss im Hintern

Schlagzeugerwitze sind sehr beliebt. Und abgrundtief böse. Ein ganz perfider liest sich wie folgt: "Wie kann man einen Drummer am schnellsten aus dem Konzept bringen? Man legt ihm einfach ein Blatt mit Noten vor." Diese stichelnden Gemeinheiten zwischen Musikern mögen gewiss jede Phrasensau zum Bersten bringen, sind im Grunde jedoch vollkommen haltlos, wenn frau Mélissa Laveaux heißt und renommierte, weltmusikhafte Folkkreativitäten zaubert. Und mit der französischen Jazzrhythmus-Ein-Frau-Armee Anne Paceo die ersten Ideen zu einem Album wie "Dying is a wild night" anfertigt, um diese anschließend im Studio von Vincent Taeger einspielen zu lassen. Das Einzige, das hier aus dem Konzept gebracht wird, ist vermutlich das Blatt mit Noten. Daran ist nicht einmal das durch die Hintertür geschmuggelte Cover von Weezers "Hash pipe" schuld, eine Erinnerung an grüne Zeiten, als Weezer-Bandchef Rivers Cuomo noch Songs schreiben konnte. Nein, gewiss nicht. Eklektische, poporientierte Ambition ist das Stichwort der Stunde, das die Notenlinien übervoll und selbige zugleich trunken macht. In diesem Sinne Adieu Notenblatt und Willkommen Mathpop.

"Dying is a wild night" ist nichts für Easy-Listeners. Es erzählt Geschichten, zumeist mit- und einnehmende. Gleich der Opener "Postman" gemahnt weniger an Kevin Costners Riesenflop um patriotischen Wiederaufbau von 1997, als vielmehr an das quälende Warten auf nie ankommende Korrespondenz im Exil. Dieses musste die kanadische Sängerin und Tochter haitianischer Auswanderer am eigenen Leib erfahren, als sie ihre Heimat Kanada verließ, um ihren nach Paris emigrierten Eltern zu folgen. Die Drums knattern verschwurbelt und selbstbewusst, dunkle Hintergrundstimmen sirenen gedankenverloren zu flirrenden Gitarrenloops, über denen Laveaux' Gesangsmelodie präzise Akzente setzt. Die Einflüsse sind vielfältiger als sich selbst die Bosnian Rainbows erträumen können. Wo diese arg gewollt, doch kaum gekonnt klingen, lässt Laveaux ihre musikalischen Einwirkungsquellen nie zu collagierter l'art pour l'art-Kunstkacke verkommen. Statt dessen wird einem rehkitzscheuen Soul mit "Day breaker" gehuldigt oder mit "Pretty girls" die Tanzbarkeitsschraube zu intelligentem Powerpop gelockert. Diesem rückt "Sweetwood" mit einarmigem Breakbeat sowie Laveaux' säuselig intonierter Samtstimme auf, um Hüfte, Herz und Gehirn zu einer Einheit im Beatschuppen zu verschmelzen.

"Triggers" bewegt sich auf Messers Schneide, auf einem schmalen Sims zwischen Synthie-Klangräumen, bedrückend, trist, zugleich intim nachdenkend und dynamischer, nach vorn losgehender Rhythmik. Dem gegenüber steht die Neunzehnhundertsiebziger angesteckte Popnummer "Generous bones" wie eine Glitzerfalte auf einer gerade entstaubten Diskokugel. Wenn das Leben einfach nicht mehr sahnig ist, gehört nur Glitzer drauf, so heißt es. "Cart sans horse" driftet über drückende Portishead-Abgründe hinweg und belehrt eines Besseren. Ab diesem Punkt wird die Laveaux noch bierernster. Das auf Kreolisch vorgetragene "Pié bwa" kündigte mit erstaunlich beschwingtem Ätherleib als eine Version von Billie Holidays "Strange fruit" den Stimmungsumschwung bereits an: Laveaux singt darin aus der Perspektive des blutverschmierten Baumes, den Holiday lediglich von Außen mit Herzschmerz begutachtete.

Mit Biss im Hintern zum Morgengrauen pocht "Calvatious" die wilde und geniale Nacht Laveaux' aus. Selbst der Albumtitel verweist auf Einflüsse, doch kongenial. Wer Näheres erfahren möchte, möge die Gedichte von Emily Dickinson durchblättern und über die erstaunlichen Analogien zwischen Laveaux' Musik und Dickinsons Worten staunen. Schlagzeugerwitze ziehen bei dieser Platte einfach nicht.

(Peter Somogyi)

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Highlights

  • Postman
  • Pretty girls
  • Generous bones

Tracklist

  1. Postman
  2. Hash pipe
  3. Dew breaker
  4. Pretty girls
  5. Move on
  6. Sweetwood
  7. Generous bones
  8. Triggers
  9. Pié bwa
  10. Cart sans horse
  11. Calvatious

Gesamtspielzeit: 35:11 min.

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