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Sigur Rós - Kveikur

Sigur Rós- Kveikur

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 14.06.2013

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Zärtliche Wucht

Vor einigen Wochen erfuhren wir Plattentests.de-Redakteure, dass unsere Rezensionen unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten in einer Bachelor-Arbeit analysiert wurden. Fachbereich: Skandinavistik. Zentral war die Fragestellung, in welchem Ausmaß wir Schweden-Klischees zur Beschreibung von schwedischen Künstlern herangezogen haben. Uff! Die halbe Redaktion hat sich daraufhin die Worte "Mea culpa" auf die Stirn tätowieren lassen, nur um kurze Zeit später doch wieder die große Portion Köttbullar in der Kantine zu verspeisen und sich danach die vollen Mägen zu halten. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung, macht aber halt auch nicht satt.

Was das alles mit den Nicht-Schweden Sigur Rós zu tun hat? Prinzipiell erstmal wenig, doch kaum eine Band wird so konsequent und unentwegt auf ihre Herkunft reduziert wie die Isländer. Und da wir jetzt eben vorbelastet sind, schien es plausibel, den ersten Absatz mit dieser Anekdote zu füllen, denn sonst stünde da ja eh nur was von Elfen, Kobolden, weiten Landschaften, Vulkanen und Geysiren. An dieser Stelle sei hoch und heilig versprochen: Diese Rezension bemüht sich weithin um klischeefreie Darstellung und Einordnung des Schaffens der Band Sigur Rós. So wahr mir Björk helfe. Uppsala.

"Kveikur" ist die siebte Platte der Band aus Reykjavik und erscheint nur ein Jahr nach dem doch etwas enttäuschenden Ambient-Geplänkel "Valtari". Es stand zu befürchten, Sigur Rós hätten den Rock aus den Augen verloren, begaben sie sich mit ihrem letzten Album doch auf eine etwas zu ätherisch-verschluffte Reise in den monochromen Schönklang. Doch bald war klar, dass die nach dem Ausstieg des Keyboarders zum Trio geschrumpfte Band nun wieder den Rückwärtsgang einlegt: "Brennisteinn", der erste Song, der vorab veröffentlicht wurde, zeigt bei aller Härte, dass immer noch zwei Herzen in der Brust von Sigur Rós schlagen und eines davon liebt eben den Ausbruch, die Explosion, die Katharsis.

Möchte man dieses Album unbedingt in den Kanon der Band einordnen, so müsste man es auf jeden Fall als kleinen Bruder des 2005er Meisterwerks "Takk..." bezeichnen, denn in Form und Ausdruck ähneln sich diese Platten am ehesten. Sigur Rós schaffen den Spagat zwischen zärtlichen Postrock-Passagen und eruptiven Tics, sie kreieren eine einmalige Atmosphäre, die auch ohne jede Kenntnis der Sprache auf den Hörer wirkt, ihn gefangen nimmt und erst nach einer guten Dreiviertelstunde wieder loslässt. "Kveikur" bietet Hinhör-Musik, die mit allen Sinnen erfahren werden möchte, denn nur so lässt sich die Kohärenz und Binnenlogik dieses Albums verstehen. In der Badewanne dazu einschlafen kann man zwar auch wunderbar, ist aber eher suboptimal, weil man dann eben eine Menge verpasst.

Da wäre zum Beispiel "Stormur", der beste Sigur-Rós-Song seit "Sæglópur", der unglaublich toll instrumentiert ist und eine zärtliche Wucht entfaltet, die atemlos macht. Ähnlich gelagert ist "Ísjaki", eine wahrhaftige Hymne, wie man sie sich von Sigur Rós zwar immer wünscht, aber nun schon seit zwei Alben eben nicht mehr bekommen hat. Jónsi schwärmt, wie es eben wohl nur Jónsi kann, während das Glockenspiel die leeren Stellen füllt und dem Song eine zauberhafte Komponente hinzufügt. In diesen Momenten sind Sigur Rós in ihrem Element, sie kultivieren weiter ihren ureigenen Sound, der so einzigartig ist, dass man ihm mit trivialen Kategorien wie Postrock kaum gerecht werden kann.

Der Titelsong zelebriert in seinen sechs schleppenden Minuten die Dunkelheit, Sigur Rós suchen den Flirt mit Noise und Industrial, ohne aber zu einer pseudoharten Karikatur ihrer selbst zu verkommen. Am stärksten sind sie dennoch immer dann, wenn ihre Stücke gen Himmel steigen und die klare Nacht erhellen, wie es sonst nur Wetterleuchten im Hochsommer vollbringen. Auf "Kveikur" gelingt das den dreien fast durchgängig. Sie halten die Spannung aufrecht und finden zur alten Stärke zurück. Und das ganz ohne Feenstaub oder anderen Schnickschnack.

(Kevin Holtmann)

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Highlights

  • Brennisteinn
  • Ísjaki
  • Stormur

Tracklist

  1. Brennisteinn
  2. Hrafntinna
  3. Ísjaki
  4. Yfirborð
  5. Stormur
  6. Kveikur
  7. Rafstraumur
  8. Bláþráður
  9. Var

Gesamtspielzeit: 46:40 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Speedy

Postings: 241

Registriert seit 10.02.2021

2023-06-11 17:37:19 Uhr
Wie stark ist denn bitte dieses Album? Und warum habe ich es nicht schon früher viel öfter gehört? Egal. hole ich jetzt noch nach. So als warnhören für das neue Album.

flow79

Postings: 383

Registriert seit 09.09.2020

2020-10-11 21:50:43 Uhr
Sehr gut die Stimmungen zusammengefasst!

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19949

Registriert seit 10.09.2013

2020-01-01 10:57:11 Uhr
Streitet sich bei mir immer noch um den dritten Diskographie-Platz mit "()". Liefert einfach einen sehr gelungenen Querschnitt über ihr Schaffen, angereichert mit der neuen "Härte" im Opener und im Titeltrack. Sollte es wirklich ihr letztes richtiges Band-Album gewesen sein, wäre es ein würdiger Abschluss.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31724

Registriert seit 07.06.2013

2020-01-01 01:45:28 Uhr
Erst der Multiinstrumentalist, jetzt der Drummer... ich glaub nicht, dass die sich Ersatz zulegen. Von daher denke ich nciht, dass noch ein Band-Album von Sigur Rós kommt.

sie releasen seit geraumer Zeit nur noch irgendwelche mittelspannenden Ambientsachen.

Ambient ist aber auch selten spannend. :D Ich mag die Sachen sehr zum Entspannen oder Lesen.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10795

Registriert seit 23.07.2014

2020-01-01 01:37:13 Uhr
Naja, der Drummer ist ziemlich sicher raus und sie releasen seit geraumer Zeit nur noch irgendwelche mittelspannenden Ambientsachen.
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