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How To Destroy Angels - Welcome oblivion

How To Destroy Angels- Welcome oblivion

Columbia / Sony
VÖ: 01.03.2013

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Scheitern mit System

Die Frage ist, warum Trent Reznor nie wieder das Niveau von "The fragile" erreicht hat. Entgegen der recht gängigen Einschätzung, das brillante "The downward spiral" sei sein Jahrhundertstreich gewesen, war er nie so bei sich wie auf diesen zwei unglaublichen CDs, die mehr musikalische Ideen verarbeiteten, mehr Sounds zusammenlöteten und mehr Graustufen emotionaler Erschöpfung ausloteten als eine ganze Generation von Epigonen, die sich seitdem am Einstampfen von lichterloh brennenden Herzen in der technoiden Kälte versuchten. Reznor schreibt seit Jahr und Tag über die Entfremdung, und es war immer wieder erstaunlich, wie er - weit entfernt davon, ein guter Lyriker zu sein - dafür musikalische Mittel fand. Schon sein weithin unterschätztes Wunderdebüt "Pretty hate machine" führte den Dolch gegen sich selbst und brachte die ultracoolen, scheinsouveränen Posen des Wave der Achtziger zur Implosion. Reznor schrieb über den Verlust der Selbständigkeit, indem er versuchte, Blut aus Maschinen zu pressen.

Warum also war nichts mehr so gut wie "The fragile"? Es ist etwas dran an dem Eindruck, dass die "Ghosts"-Reihe spürbar von einem neuen künstlerischen Konzept getrieben war: Reznor tauschte seinen selbstzerstörerischen Perfektionismus gegen den Mut zum Unfertigen, Unbearbeiteten, nicht zu Ende Gedachten. Noch schwerer wiegt, dass Nine Inch Nails nach "The fragile" zusehends ihre Gitarren mit Pro Tools zerschredderten - genauso wie das Nebenprojekt How To Destroy Angels, dem neben Reznor auch dessen Frau Mariqueen Maandig sowie Atticus Ross und Rob Sheridan gehören. Von der ehemals rockigen Attitüde ist auf dessen Debüt nach zwei EPs fast nichts mehr zu spüren. Der in den letzten Jahren äußerlich so übertrieben breit gewordene Pitbull Reznor hat sich das Posen abgewöhnt. "Welcome oblivion" ist dabei gar so etwas wie eine Wohlfühlplatte geworden.

Das liegt auch daran, dass Reznors Projekte ähnlich wie ein Marilyn Manson den Mainstream lange genug sturmreif geschossen haben. Nichtsdestotrotz ist ein so offensichtlicher Hitrefrain wie der von "How long?" eine Provokation - die voll aufgeht. Fraglos, man kennt ansonsten fast jeden Schritt, den How To Destroy Angels gehen. "Welcome oblivion" hat keine Geheimnisse und brütet vor allem nicht mehr diese adoleszente Wut in sich aus, für die zumindest Reznor zu Zeiten des "Natural born killers"-Soundtracks stand. Dieses Album hat einiges gemein mit "Third", dem letzten Meilenstein von Portishead. Und erstaunlicherweise fügt sich Maandigs Leadgesang gerade deswegen wunderbar ein, weil sie ihn so monoton, fast blutleer vorträgt, als ginge sie all der Spuk um sie herum nichts an. Reznors bedeutungsschwangeres Röcheln wirkt daneben nur noch unheimlicher.

Vermutlich ist die einleitende Frage einfach falsch gestellt. Auch wenn mancher der alten Wucht nachweinen mag, erinnert Reznors Karriere an einen Profi-Sprinter, der auf ewig seinem eigenen Fabel-Weltrekord nachläuft - aber dabei immer wieder die genervte Konkurrenz düpiert. Und wenn im herrlich groovenden "The loop closes" die Hi-Hat einsetzt, gelingt es nur den Allerbesten, einen eigenen Klassiker wie "Closer" zu zitieren, ohne neben diesem heillos unterzugehen. Wenn How To Destroy Angels schließlich in "Hallowed ground" womöglich unbewusst einen Beat vom Rapsatiriker Jon Lajoie nachbauen, wird die Brillanz dieses Debüts zwischen all den postmodernen Verweisen und Denkbarkeiten endgültig deutlich: "Welcome oblivion" ist Musik im Konjunktiv. Es bleibt unklar, wie durchgeplant und ausgearbeitet dieses Spiel zwischen Ambient, TripHop und Noise eigentlich ist. Es könnte auch Glück sein. Fakt aber ist: Keiner quetscht so viel Sinn aus abstürzenden Computern wie Reznor. Es mag nicht zu verhindern sein, dass er die Wut irgendwann dann doch aus dem Gedächtnis vor dem Spiegel wird üben müssen, doch die Ausnahmestellung Reznors zeigt sich auch darin, dass er das akzeptiert hat. Es geht voran.

(Nicklas Baschek)

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Highlights

  • Too late, all gone
  • How long?
  • Strings and attractors
  • The loop closes

Tracklist

  1. The wake-up
  2. Keep it together
  3. And the sky began to scream
  4. Welcome oblivion
  5. Ice age
  6. On the wing
  7. Too late, all gone
  8. How long?
  9. Strings and attractors
  10. We fade away
  11. Recursive self-improvement
  12. The loop closes
  13. Hallowed ground

Gesamtspielzeit: 75:40 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

fuzzmyass

Postings: 14902

Registriert seit 21.08.2019

2021-04-26 10:57:48 Uhr
Finde es absolut auf NIN Niveau - ganz großartiges Album, für mich auch total unterbewertet

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2021-04-25 10:54:48 Uhr
Joa, schon ganz nett, aber so richtig bekommen hat es mich leider nie.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19947

Registriert seit 10.09.2013

2021-04-25 00:02:00 Uhr
Ja. Und "Ice age" ist unglaublich.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31659

Registriert seit 07.06.2013

2021-04-24 23:02:55 Uhr
Geht mir irgendwie immer zu sehr unter, das Album. Echt eine tolle Atmosphäre...
cold
2013-04-22 16:13:36 Uhr
Kenne das neue Album noch nicht, bin aber von den EP`s schon ziemlich angetan. Parasite/ BBB richtig geil!!!

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